KI-Navigator #3: Deutschland und Europa haben bei KI den Anschluss verloren

Jetzt ist höchste Zeit für Investitionen in KI und den Aufbau einer KI-Infrastruktur, damit Europa international aufholen kann, meint Mirko Ross.

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(Bild: Diego Barbieri/ Shutterstock.com)

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Von
  • Mirko Ross
Inhaltsverzeichnis

Willkommen zur dritten Ausgabe der KI-Navigator-Kolumne der DOAG KI Community!

Kolumne KI-Navigator – Mirko Ross

Mirko Ross ist CEO der asvin.io. Er ist ein international anerkannter Aktivist, Experte, Redner, Publizist und Forscher im Bereich Cybersicherheit. Im Bereich ML-Systeme untersucht er die Angriffsvektoren in nationalen und internationalen Forschungsgruppen wie DataChainSec (gemeinsam mit dem KIT) und dem MIT CAMS (US).

Zur Hannover Messe überschlugen sich die PR-Abteilungen der Konzerne mit Erfolgsmeldungen zum Thema KI. Die Realität abseits von PR-Wunderländern ist dagegen trist. Die europäische und deutsche Wirtschaft droht bei KI im globalen Wettbewerb abgehängt zu werden. Für eine ernsthafte Rolle sind massive Anstrengungen und Investitionen notwendiger denn je.

Denn abseits der glamourösen Welt der übertriebenen Jubelmeldungen und hübschen PowerPoint-Folien für Vorstandsberichte belegen nüchterne Fakten, dass Europa und die deutsche Wirtschaft nur die Schlusslichter im weltweiten KI-Rennen sind. Es besteht die reale Gefahr, dass deutsche und europäische Unternehmen bei künstlicher Intelligenz auf die Rolle von Konsumenten und Service-Nutzern reduziert werden, statt eine aktive Rolle mit leistungsstarken KI-Modellen zu spielen.

In der Cloud-Revolution hat bereits die Dynamik der Hyperscaler aus Übersee den europäischen Wirtschaftsraum überrollt. Zu spät haben europäische Unternehmen die positive Wirkung massiver Investitionen in die Bereitstellung nahezu unlimitierter Rechenressourcen für die Geschäftsmodelle der Zukunft erkannt.

Mangels europäischer Alternativen hängen die europäische und deutsche Wirtschaft zu großen Teilen in der Abhängigkeit der dominierenden US-amerikanischen Hyperscaler fest, die einen wesentlichen Teil der industriellen Wertschöpfung über Nutzungsgebühren abschöpfen. Bei künstlicher Intelligenz droht sich dieses Muster zu wiederholen. Schönreden hilft nicht: Die europäische und deutsche Wirtschaft investiert nicht im notwendigen Maß in den Aufbau von KI-Infrastrukturen und -Modellen, die im weltweiten Wettbewerb standhalten können. Wer jetzt nicht investiert, landet bald auf der Ersatzbank. Statt eines Akteurs wird man zum Zuschauer im globalen KI-Spiel.

Mehr Infos

(Bild: DOAG)

Am 20. und 21. November 2024 geht die KI Navigator in die zweite Runde. Die von DOAG, Heise Medien und de'ge'pol ausgerichtete Veranstaltung findet erneut im Nürnberg Convention Center Ost statt. KI Navigator ist die Konferenz zur Praxis der KI in den drei Bereichen IT, Wirtschaft und Gesellschaft. Sie widmet sich der konkreten Anwendung von künstlicher Intelligenz.

Das Programm geht Ende Mai online. Wer sich bis dahin einen Eindruck von der Konferenz verschaffen möchte, kann den Nachbericht zu KI Navigator 2023 lesen.

Belegen lässt sich diese Paralyse der europäischen und deutschen Industrie anhand der weltweiten Bestellungen leistungsstarker KI-Prozessoren, die für das Training aktueller und kommender Modelle erforderlich sind. 2023 war bei der Prozessorgeneration Nvidia H100 kein europäisches Unternehmen in den Top Ten. Von den rund 500.000 bestellten Prozessoren (Stand Q3/2023) listen die Marktforscher von Omdia zwölf Besteller, angeführt von Microsoft und Meta mit je 150.000 Bestellungen, gefolgt von Google, Amazon, Oracle und Tencent mit je 50.000 Bestellungen. In der Liste findet sich kein europäisches oder deutsches Unternehmen.

Auch bei der nächsten Prozessorgeneration Nvidia Blackwell sind keine europäischen Unternehmen in den Top-Rängen. Allein um diese Anzahl bestellter Prozessoren zu nutzen, plant Microsoft laut einem Leak vertraulicher Dokumente an Business Insider eine Verdoppelung der Rechenleistung von 2024 bis 2025 und investiert unter anderem 2,9 Milliarden US-Dollar in Japan und 3,16 Milliarden US-Dollar in UK.

Die einzig logische Schlussfolgerung daraus lautet: Wer leistungsstarke KI-Modelle entwickelt, benötigt auch Prozessoren und Rechenleistung dafür. Europa und Deutschland bilden faktisch die rote Laterne des weltweiten KI-Expresszugs. Dieses Versagen wird sich nicht nur schleichend negativ auswirken, sondern Nachteile sind bereits spürbar. Wesentliche industrielle KI-Anwendungen aus Europa basieren auf Modellen und Infrastrukturen aus Übersee. Wie im Fall der Cloud-Plattformen schöpfen die Infrastrukturanbieter aus den USA wesentliche durch künstliche Intelligenz erzielte wirtschaftliche Leistungen ab.

Gegenüber der Tagesschau äußerte sich Holger Hoos, Professor für Methodik der künstlichen Intelligenz an der RWTH Aachen, kritisch zur wachsenden Dominanz der US-Konzerne im KI-Bereich: "Das Problem besteht darin, dass Wirtschaft und Gesellschaft in eine kritische Abhängigkeit von diesen Unternehmen geraten. Im Bereich KI ist das besonders heikel, weil diese Technologien in allen Bereichen unserer Wirtschaft eine Schlüsselrolle spielen werden und damit unsere globale Konkurrenzfähigkeit direkt davon abhängen wird."

Um nicht auch hier wieder in die Abhängigkeitsfalle zu tappen, sind massive und vor allem schnelle Anstrengungen notwendig. Es hilft uns nichts, wenn Konzernvorstände mit euphorisierenden Meldungen weiter potemkinsche Dörfer für die Politik errichten. Notwendig ist ein schonungsloser Blick hinter die Kulissen und ein beherztes Anpacken von Konzernen und Finanzinvestoren im Schulterschluss mit der Politik.

Am 5. November dieses Jahres wird in den USA ein neuer Präsident gewählt. Der Ausgang dieser Wahl ist offen. Die noch amtierende Biden-Administration hat mit dem Inflation Reduction Act bereits bewiesen, dass diese der heimischen Wirtschaft durch Mittel des Protektionismus einen Marktvorteil verschaffen kann. Die wirtschaftliche Dominanz durch US-Unternehmen ist auch in der als gemäßigt auftretenden Biden-Administration ein Teil der politischen Agenda. Sollte Donald J. Trump die Wahl gewinnen, birgt die gestiegene Abhängigkeit im KI-Sektor ein unkontrollierbares gesellschaftlichen und wirtschaftliches Risiko für Europa.

Europäische Unternehmen müssen deutlich mehr und beherzter in den Aufbau von KI-Infrastrukturen und KI-Modellen investieren. Für das 3. Quartal 2024 müssen sich unter den Top Ten der weltweiten Besteller für KI-Prozessoren mindestens zwei bis drei Konzerne aus Europa befinden. Noch ist Zeit dafür, einen Sitzplatz im KI-Express zu sichern. Packen wir es an!

(rme)