Europawahl 2024: Die große Angst vor Einflussnahme

Die anstehende Europawahl, die in Deutschland am 9. Juni stattfinden wird, steht angesichts der weltpolitischen Lage unter besonderen Vorzeichen.

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(Bild: KI Midjourney | Collage c’t)

Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Falk Steiner
Inhaltsverzeichnis

Seit Monaten bereiten sich die europäischen Institutionen, allen voran das Europaparlament, nationale Wahlleitungen, Cybersicherheitsbehörden und Nachrichtendienste, auf das Großereignis Europawahl 2024 vor. Viele Einzelmaßnahmen sollen verhindern, dass die Wahl manipuliert wird. Experten befürchten Bedrohungsszenarien ganz unterschiedlicher Art.

Jeder EU-Mitgliedstaat führt die Wahlen zum europäischen Parlament in Eigenregie durch, und zwar nach seinen nationalen Wahlgesetzen, mit nationaler Umsetzung und nationalen Kandidaten. Streng genommen gibt es also gar nicht die eine Wahl, sondern 27 einzelne Wahlvorgänge. Diese Komplexität schützt die Europawahl in gewisser Weise, denn sie erschwert einen erfolgreichen Angriff auf technischem Weg. Dennoch warnt die Europäische Netzwerk- und Informationssicherheitsbehörde ENISA vor möglichen Angriffen.

Europawahl 2024

Bereits im November 2023 führten die Cybersicherheitsbehörden daher zusammen mit EU-Kommission und dem Europaparlament ein Planspiel durch, um mögliche Gefährdungen zu identifizieren. Im März stellte ENISA den Wahlbehörden und den Cybersicherheitsbehörden der EU-Staaten ein umfangreiches Kompendium mit Schutzmaßnahmen zur Verfügung. Darin heißt es: "Ein Vorfall in irgendeiner Phase des Wahlvorgangs irgendwo in der EU könnte Spill-Over-Effekte haben und die Legitimität der Wahlergebnisse insgesamt betreffen." Denn auch wenn Europa in viele Wahlkreise und nationale Wahlsysteme aufgeteilt ist, geht es am Ende um ein gemeinsames Parlament, dessen Mitglieder wichtige Entscheidungen für alle EU-Bürger treffen.

Auf der Website der Bundeswahlleiterin finden Wähler Informationen rund um Desinformationen zur Europawahl.

Hinlänglich bekannte Störmanöver sind beispielsweise Phishing-Angriffe gegen einzelne Kandidaten oder politische Parteien sowie Versuche, bei elektronischen Abstimmungsverfahren die Wahlinfrastruktur zu kompromittieren. Unter Experten gilt es mittlerweile allerdings als wahrscheinlicher, dass ausländische Mächte die Wahl indirekt zu manipulieren versuchen, indem sie den Wählerwillen unzulässig beeinflussen.

Deshalb stehen die in den jeweiligen Mitgliedstaaten populären Plattformen im Fokus der Sicherheitsbemühungen. Deren Nutzung unterscheidet sich je nach Staat und Nutzergruppe erheblich. In Deutschland dürfen bei der Europawahl 2024 erstmals Jugendliche ab 16 Jahren mit abstimmen. Daher haben Sicherheitsbehörden die unter jungen Leuten populäre Kurzvideoplattform TikTok des chinesischen Anbieters Bytedance besonders im Blick. Wie für alle Plattformen gilt auch für TikTok, dass sich aufgrund der Dynamik in den sozialen Netzen Unwahrheiten und Gerüchte rasend schnell verbreiten. Sie sind dann kaum mehr einzufangen.

Insbesondere Russland und China stehen immer wieder im Verdacht, auf unterschiedliche Arten Einfluss auf das politische Gefüge anderer Länder auszuüben. Beide betreiben Medien für das Ausland, die journalistischen Standards nicht entsprechen. Russland hat in der Vergangenheit nachweislich versucht, über Fake-Accounts falsche Inhalte zu verbreiten. Dabei machten sich russische Akteure die Logik der Social-Media-Plattformen zunutze, dass besonders interaktionsstarke Inhalte an Sichtbarkeit gewinnen. Genau solche Verstärkungstechniken seien Teil der Herangehensweise von bösartigen Akteuren, erklärt Lutz Güllner, Leiter einer mit Desinformation befassten Stelle beim Europäischen Auswärtigen Dienst.

Die meisten Politiker scheinen angesichts der Social-Media-Verbreitungslogik weitgehend ratlos. Je schriller die Inhalte, desto schneller finden sie in den algorithmengetriebenen Umgebungen ihr Publikum. Seriöse politische Aussagen samt aller erklärungsbedürftigen Details wirken im Vergleich langweilig und anstrengend. Sie passen schlecht zur Entertainment-Logik eines 30-Sekunden-Videos. Die meisten Politiker zögern daher, auf beliebte Plattform zu gehen. Gerade die Debatten rund um TikTok und dessen Eigentümer Bytedance sorgen in vielen Parteien für Diskussionen. Während deren Mitglieder noch die Gefahr diskutieren, sich zum Gehilfen einer politisch problematischen Entwicklung zu machen, nutzt die AfD jede Gelegenheit, möglichst ohne Widerspruch ihre Parolen in die Welt zu jagen – auf TikTok, X, Facebook oder via Telegram.

Das Projekt "Forum gegen Fakes – Gemeinsam für eine starke Demokratie" will eine Debatte zum Umgang mit Desinformation anstoßen. Ein Bürgerrat hat dazu Vorschläge entwickelt, über die jeder abstimmen kann.

Der AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl, Maximilian Krah, zeigt sich beispielsweise ausgesprochen China-freundlich. Er nutzt TikTok seit langem intensiv zur Selbstdarstellung. Im Vorfeld der Europawahl richteten kürzlich auch Mitglieder der Grünen oder die FDP-Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann TikTok-Accounts ein. In der Abwägung sei es richtig, dass andere Parteien nachziehen, sagt der Politikberater Johannes Hillje: "Ansonsten droht aus der Generation TikTok die Generation AfD zu werden." 65 Prozent der 14- bis 29-Jährigen konsumieren täglich von ausgeklügelten Algorithmen verteilte News aus dem Internet, so eine Studie im Auftrag der Landesmedienanstalten aus dem Jahr 2022. Inzwischen dürfte der Anteil noch zugenommen haben.