zurück zum Artikel

Zurück aus den Ewigen Jagdgründen: 120 Jahre Indian Motorcycle

Ingo Gach
Indian Motorcycle Chief

120 Jahre Indian Motorcycle. Nach dem vorläufigen Ende 1953 dauerte es rund sechs Jahrzehnte, ehe die legendäre Marke aus den Ewigen Jagdgründen zurückkehrte.

Totgesagte leben bekanntlich länger, das gilt ganz besonders für Indian Motocycle. Die legendäre US-Marke feiert dieses Jahr ihr 120. Jubiläum. Allerdings endete die erste Ära 1953 und es dauerte rund sechs Jahrzehnte, ehe Indian endgültig aus den Ewigen Jagdgründen zurückkehrte und wieder beständig Motorräder mit dem Indianerkopf im Logo produzierte.

Indian Motorcycle (ab 1902 ohne "r" in Motorcycle) wurde 1901 gegründet und ist damit die älteste amerikanische Motorradmarke, älter als der Dauerrivale Harley-Davidson in Milwaukee, deren erstes Motorrad aus 1903 das Licht der Welt erblickte. Offiziell eintragen ließen Walter Harley und Arthur Davidson die Harley-Davidson Motor Company sogar erst 1907. Sie hat dennoch viel länger Motorräder produziert, denn Indian Motocycle ging 1953 in Insolvenz und wurde erst 2014 wieder zu einer dauerhaft produzierenden Marke.

Der erfolgreiche Radrennfahrer George Hendee gründete 1889 seine eigene Fahrradfabrik in Springfield, Massachusetts. Zehn Jahr später ersann der aus Schweden eingewanderte Ingenieur Oscar Hedstrom in New York einen verbesserten Vergaser für den damals sowohl die Automobilindustrie als auch die Motorradbranche dominierenden französischen De Dion-Bouton-Einbaumotor und konstruierte ein Schrittmacher-Motorrad (englisch: Pacer) für Radrennen. Hendee wurde 1900 auf das Motorrad aufmerksam und bot Hedstrom an, mit ihm zusammen Motorräder für den Straßeneinsatz zu bauen. Im Januar 1901 unterschrieben die beiden Männer einen Vertrag – der Legende nach auf der Rückseite eines Briefumschlags – und die Indian Motorcycle Company war geboren.

Den Namen "Indian" wählten sie, weil die Firma unverwechselbar mit dem Pioniergeist der USA verbunden sein sollte. Bereits im Mai war das erste Motorrad fertig, das einfach Indian Single getauft wurde und noch große Ähnlichkeit mit einem Fahrrad aufwies. Es hatte einen stehenden 213-cm3-Einzylinder-Viertakter unter dem Sattelrohr, während der Camelback-Tank über dem Hinterrad seinen Platz fand. Der Motor leistete 1,75 PS und trieb das 43 Kilogramm schwere Gefährt auf 40 km/h, gestartet wurde mit ganz normalen Fahrradpedalen.

Nach zwei weiteren Prototypen begann 1902 die Serienfertigung und die Indians fanden umgehend reißenden Absatz, alleine im Jahr 1904 wurden 596 Motorräder verkauft. Die dafür nötige neue Fabrik in Springfield bekam den Spitznamen "Wigwam" verpasst. Hendee war für den Verkauf und Hedstrom für die Entwicklung zuständig. Beide fuhren selber Rennen und gewannen auch regelmäßig, was natürlich die beste Werbung für ihre Maschinen war.

Hedstrom tüftelte fleißig weiter und baute bald einen Zweizylinder-V-Motor mit 42 Grad Zylinderwinkel, der aus 640 cm3 Hubraum sieben PS holte. Der zunächst in Rennen eingesetzte Motor ging ab 1907 in Serie und mauserte sich rasch zum Bestseller. Schon zuvor hatte Hedstrom einen Schleifenrahmen entwickelt, der eine tiefere Platzierung des Motors und einen Tank darüber ermöglichte. Hedstrom galt bald als einer der führenden Motorradingenieure und setzte ständig neue Ideen um, wie 1911 einen Vierventil-Zylinderkopf, der die Leistung deutlich erhöhte. Prompt stellte der langjährige Werksfahrer Jacob DeRosier bei einem Rennen in Los Angeles gleich etliche neue Weltrekorde auf. Im selben Jahr nahm Indian selbstbewusst zum ersten Mal an der TT Isle of Man teil – dem damals berühmtesten Rennen der Welt. Die Marke belegte bei der Senior TT überlegen die ersten drei Plätze vor der düpierten englischen Konkurrenz.

In der Folge explodierten die Verkaufszahlen bei Indian. Doch zwischen Hendee und Hedstrom kriselte es. Nach der Rückkehr von der Isle of Man kam es zum Streit zwischen Hendee und dem erfolgreichen Werksfahrer DeRosier. Der Firmenboss wollte ihn die neue Acht-Ventil-Rennmaschine nicht fahren lassen und der Franko-Kanadier DeRosier wechselte wutentbrannt zum Konkurrenten Excelsior. Hedstrom war über den Weggang seines Freundes DeRosier nicht glücklich und konzentrierte sich zur Ablenkung auf die Entwicklung eines Rahmens mit gefedertem Hinterrad, der deutlich mehr Komfort versprach. Außerdem machte er die Indians durch geschickte Detailverbesserungen deutlich zuverlässiger – ein für damalige Zeiten entscheidender Faktor. Hendee drängelte, dass die neuen Modelle einen E-Starter bekommen sollten, doch Hedstrom war wegen des erheblichen Mehrgewichts dagegen.

1913 sollte zum Schicksalsjahr für die Marke werden. Indian erzielte einen Produktionsrekord von 32.000 Motorrädern, was rund der Hälfte aller in den USA verkauften Bikes entsprach, und machte einen Gewinn von 1,3 Millionen Dollar. Doch Hedstrom, der inzwischen für zwei Fabriken, das Design und die Entwicklung verantwortlich war, wurde es allmählich zuviel. Als sein langjähriger Freund DeRosier an den Folgen eines schweren Rennunfalls starb, kündigte Hedstrom.

Als Nachfolger holte Hendee den jungen Iren Charles B. Franklin nach Springfield und außerdem einige reiche Investoren, um weiter zu expandieren. Doch im gleichen Jahr führte Henry Ford die Fließbandmontage ein, was zu einer deutlichen Reduzierung des Kaufpreises für das Ford T-Modell und zu einem gewaltigen Anwachsen der Produktionszahlen führte. Autos wurden plötzlich erschwinglich, die Motorradverkäufe gingen merklich zurück.

Den neuen Investoren von Indian gefiel das gar nicht und hatten auch keinen Sinn für den teuren Rennsport, sondern interessierten sich nur für ihre Rendite. Im März 1914 entschied Hendee, sich auszahlen zu lassen und verließ seine Firma. Zu seinem Nachfolger wurde Frank Weschler ernannt, der bis dahin die Buchhaltung geleitet hatte. Vier Monate später begann der Erste Weltkrieg und die Indian-Verkaufszahlen fielen bedenklich.

120 Jahre Indian Motorcycle (0 Bilder) [1]

[2]

Dabei hatte noch kurz zuvor Erwin "Cannonball" Baker auf einer Indian-V2 eine sensationelle Fahrt von der West- zur Ostküste der USA ohne nennenswerte Pannen absolviert und war mit der Indian in allen Zeitungen präsent. Doch selbst ein neues 1000-cm3-V2-Modell mit E-Starter und elektrischem Licht konnte den Niedergang nicht aufhalten. In der Chefetage von Indian war niemand mehr mit Herzblut dabei, während Harley-Davidson zum Überholen ansetzte.

In Milwaukee setzte die Firmenleitung auf den Rennsport und in der Entwicklungsabteilung baute Bill Ottaway einen siegfähigen Acht-Ventil-Motor, während Indian sich auf einen kreuzbraven Seitenventil-Motor verlegte. Ein Auftrag der US-Army über 20.000 Power-Plus-Modelle mit dem 1000-cm3-Motor rettete Indian über den Krieg.

Nach dem Ersten Weltkrieg waren die meisten Motorradhersteller in den USA pleite, Indian und Harley-Davidson teilten den Markt zum größten Teil unter sich auf. In den folgenden drei Jahrzehnten tobte eine Schlacht zwischen den beiden Marken, der mit allen Mitteln ausgefochten wurde. Indian versuchte mit unterschiedlichen Konzepten wieder in die Erfolgsspur zu kommen. Der billige Zweitakter Model K sollte vermehrt Käufer anlocken und auch das verdächtig an die Douglas Fee oder Fairy von 1904 erinnernde Model O mit quer liegendem 257-cm3-Boxermotor und Dreigang-Schaltung wurde günstig offeriert, doch der Erfolg war nur mäßig. 1919 wurde Indian an neue Investoren aus Springfield verkauft und in den nächsten beiden Jahren kamen zwei entscheidende Modelle auf den Markt: 1920 die Scout und 1921 folgte die Chief. Sie sollten die Geschichte der Marke bis heute entscheidend prägen.

Die Scout verfügte über einen 596-cm3-V-Twin mit stehenden Ventilen. Sie war das erste in Großserie verkaufte Sportmotorrad, leistete 12 PS, wog 159 Kilogramm und fuhr reihenweise Siege ein. Ein Jahr später präsentierte Indian die Chief, die über einen ein Liter großen V2 mit 45 Grad-Zylinderwinkel verfügte und 20 PS leistete. Drei Jahre später erschien die Big Chief, deren mächtiger 1,2-Liter-Motor auf 34 PS kam. Sowohl Motor- als auch das Gehäuse für das schrägverzahnte Getriebe im Ölbad waren aus Aluminium gegossen. Die Chief wog nur 200 Kilogramm, was ihr zu beachtlichen Fahrleistungen verhalf.

In Europa erfreuten sich zu dem Zeitpunkt kleine Einzylinder großer Beliebtheit und Indian entwickelte für den dortigen Markt die Prince, die von einem 350-cm3-Motor mit vier Ventilen und Dreigang-Getriebe befeuert wurde. Das 120-kg-Leichtgewicht brachte es auf 88 km/h, aber nie zu dem erhofften Verkaufserfolg. Der Hubraum der Scout wuchs 1926 auf 750 cm³, sie errang als Polizei-Motorrad rasch Bekanntheit. Angeblich soll sie deshalb den Gasgriff auf der linken Seite gehabt haben, damit die Polizisten mit der rechten Hand bei Verfolgungsjagden schießen konnten. Der wirkliche Grund für die Position links war jedoch ursprünglich ein zweiter Kombi-Drehgriff für Dekompressionsventil und Zündverstellung auf der rechten Seite, der durch die Automatisierung dieser Funktionen später überflüssig wurde. Die Drehgriffe sollen eine weitere Hedstrom-Erfindung gewesen sein.

1927 übernahm Indian die Überreste der drei Jahre zuvor Insolvent gegangen Marke Ace, inklusive deren bemerkenswertem Reihenvierzylinder. Das daraus resultierende Modell Indian Ace wurde von dem längs eingebauten Vierzylinder mit 1265 cm3 Hubraum angetrieben und beschleunigte bis auf 120 km/h. Es war ein Prestige-Objekt, das aber die Kosten nicht wieder einfahren konnte. Die Motorräder wurden zwar immer besser, aber die Inkompetenz des Managements trieb Indian in die Verlustzone. Der Geschäftsführer Louis E. Bauer hatte 1929 einen Schuldenberg von über einer Million Dollar angehäuft und dann kam am 29. Oktober der große Börsencrash, der als Schwarzer Freitag in die Geschichte einging.

Der schwerreiche Motorradenthusiast E. Paul DuPont übernahm 1930 Indian und schaffte es tatsächlich, das Geschäft wieder anzukurbeln. Er ließ konsequent die Bestseller Scout und Chief weiterentwickeln, steckte allerdings auch viel Geld in die Vierzylinder-Ace. Dennoch sank die Produktion 1933 auf einen Tiefpunkt von 1677 Motorrädern. Indian versuchte sogar ab 1934 mit dem Dreirad "Dispatch Tow", das als Lastenesel für Kleinunternehmer dienen sollte, Geld hereinzubekommen. Die Produktionszahlen stiegen nur langsam, trotz so eleganter Modelle wie die Sport Scout und die günstigere Einstiegsmaschine Junior Scout.

Der Zweite Weltkrieg bescherte Indian erneut Aufträge des Militärs, doch diesmal schnitt Harley-Davidson deutlich besser ab als im Ersten Weltkrieg. Während Indian 33.000 Militärmaschinen der Modelle 640B, 741, 841 und Chief für die US-Army produzierte, kam der Konkurrent aus Milwaukee auf 55.000 Stück. Nach dem Krieg kaufte der im Motorradgeschäft völlig unerfahrene Ralph Rogers Indian auf und ließ zunächst nur die Chief weiterbauen. Die Entwicklung neuer, leichterer Motorräder verschlang 6,5 Millionen US-Dollar, heraus kam schließlich 1949 die Arrow mit einem 220-cm3-Einzylinder und die Scout mit einem 440-cm3-Reihenzweizylinder.

120 Jahre Indian Motorcycle II (8 Bilder) [3]

[4]
Bis heute ist Indian Motorcycle im Flat Track erfolgreich. Die Maschinen wurden in wilden Drifts durch die Kurven geprügelt. Fast von Beginn an lieferte sich Indian epische Schlachten mit dem Erzfeind Harley-Davidson.

Beide Modelle ließen an Leistung und Zuverlässigkeit zu Wünschen übrig und die Kunden zeigten sich enttäuscht. Rogers verschuldete Indian immer höher und traf viele falsche Entscheidungen, 1950 gab er auf und Indian wurde in zwei Sparten aufgespalten: Die Produktion stand danach unter der Kontrolle der Titeflex Corporation, die eigentliche Bauteile für die Luftfahrt herstellte, und der Vertrieb wurde von John Brookhouse geleitet, der auch gleichzeitig die englischen Marken Royal Enfield, Norton, Matchless, AJS und Vincent in die USA importierte. Indian versuchte noch verzweifelt, die Chief mit Federgabeln und mehr Hubraum aufzufrischen, doch vergebens. 1953 stellte Indian Motocycle, einst größter Motorradproduzent der Welt, die Produktion in Springfield ein und meldete Insolvenz an.

In den nächsten sechs Jahrzehnten wurden die Markenrechte an Indian weitergereicht wie ein Wanderpokal. Ab 1955 versah Brockhaus aus England importierte Royal Enfield mit dem Indian-Schriftzug und verkaufte sie unter neuen Modellnamen wie Indian Trailblazer, Apache, Fire Arrow oder Woodsman. 1960 kaufte die englische Firma AMC die Markenrechte von Indian auf, 1963 übernahm sie der amerikanische Verleger und Rennfahrer Floyd Clymer, der italienische Mini-Bikes mit den berühmten Namen versah. Nach dessen Tod verkaufte seine Witwe 1970 die Rechte an den Anwalt Alan Newman, der ebenfalls Mini-Bikes unter dem Label Indian verkaufte, diesmal stammten sie jedoch aus Taiwan.

Nach Newmans Bankrott 1977 gingen die Markenrechte an die American Moped Association, dann folgte 1992 Philip Zanghi, 1994 Wayne Baughman und 1998 Eller Industries, von denen aus verschiedenen Gründen keiner Motorräder in Serie baute. Erst als sich Ende 1998 neun Unternehmen zur Firma Indian Motorcylce of America zusammenschlossen und in Gilroy, Kalifornien ein Werk aufbauten, rollten endlich wieder Indians vom Band. Die Chief kam im eleganten Stil der 1950er-Jahre und auch die Scout war durchaus gelungen. Allerdings waren beide Modelle sehr teuer und so endete auch dieser Versuch 2003 mit einem unrühmlichen Konkurs. Von 2006 bis 2011 bemühte sich eine in London ansässige Investment-Firma unter dem Label Indian Motorcylce Company in Kings Mountain, North Carolina exklusiv aufgebaute Chiefs in kleinen Stückzahlen zu verkaufen.

Erst als 2011 der Schneemobil- und ATV-Hersteller Polaris Industries die Rechte an Indian Motocycle aufkaufte, kam wieder frischer Wind in die altehrwürdige Marke. Polaris hatte bereits mit Victory Motorcycles eine Motorradmarke im Portfolio und seit 1998 Erfahrung im Motorradbau. Doch die legendäre Marke Indian (nun wieder mit "r" im vollen Namen) war natürlich wesentlich zugkräftiger und so wurde Victory schließlich liquidiert und ab 2014 baute Polaris stattdessen Indians in Serie.

Indian präsentierte die neue Chief mit dem Thunderstroke genannten 1811 cm3 großen V2-Motor bereits 2013 ausgerechnet in Sturgis, South Dakota beim weltgrößten Harley-Davidson-Festival. Das neue Indian-Werk wurde in Spirit Lake, Iowa errichtet und die Chief vom Start weg in den Versionen Classic, Vintage und Chieftain angeboten – alle drei ausgesprochen hübsche Retro-Bikes. Ein Jahr später folgte die etwas kleinere und günstigere Scout mit einem 1133-cm3-V2. Beide Modellreihen sind seitdem in diversen Versionen im Programm und 2019 gesellte sich die im Flat-Track-Stil gehaltene FTR 1200 mit einem 120 PS starken 1203-cm3-V2 dazu.

Seit Polaris das Steuer übernommen hat, sieht die Zukunft von Indian Motocycle wieder rosig aus. Zwar bewegen sich die Verkaufszahlen mit rund 32.000 Stück im Vergleich zum ewigen Konkurrenten Harley-Davidson auf eher niedrigem Niveau, aber schließlich hatte die Marke aus Milwaukee auch sechs Jahrzehnte Zeit vorzulegen. Es ist schon bemerkenswert, wenn ein Markenname eine so große Strahlkraft ausübt, dass er über 120 Jahre nichts von seiner Faszination verloren hat.

(fpi [5])


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-6131255

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/bilderstrecke/3134883.html?back=6131255;back=6131255
[2] https://www.heise.de/bilderstrecke/3134883.html?back=6131255;back=6131255
[3] https://www.heise.de/bilderstrecke/3134873.html?back=6131255
[4] https://www.heise.de/bilderstrecke/3134873.html?back=6131255
[5] mailto:fpi@heise.de