Deutsche Hilfe für "Elektronische Regierung" im Westjordanland

Salfeet schreibt mit deutscher Hilfe Geschichte. Die palästinensische Stadtverwaltung präsentiert sich als erste bürgerfreundliche "elektronische Regierung" im Westjordanland.

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Von
  • Hans Dahne
  • dpa

Zur sanften Überzeugung von Bürgern und Mitarbeitern greift Tahseen Slimi gern zu ungewöhnlichen Mitteln. Nach Einführung eines Rauchverbots für Behörden ließ der Bürgermeister der Palästinenserstadt Salfeet für Raucher auf der Straße Kaffee ausschenken. Jetzt sollen die 8700 Einwohner bis zu 15 Prozent Strom- und Wasserkosten sparen können, wenn sie häufig die Leistungen der öffentlichen Verwaltung per Internet in Anspruch nehmen. Salfeet schreibt mit deutscher Hilfe Geschichte. Die Stadtverwaltung präsentiert sich als erste bürgerfreundliche "elektronische Regierung" im Westjordanland.

Der große Saal im Rathaus von Salfeet ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Links sitzen die Männer, rechts die Frauen. Bassam Disi von der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung erklärt, wie man per Mausklick schnell und unkompliziert in alle Winkel der virtuellen Stadtverwaltung gelangen kann. "Man kann Formulare ausfüllen, Anträge abschicken und Änderungen der Personaldaten vornehmen", sagt Disi, der 17 Jahre in München gelebt hat. Auch die lange Suche nach zuständigen Mitarbeitern entfällt. Ein Klick, und schon stehen Name und Telefonnummer auf dem Bildschirm. Und der Service geht weiter: Es gibt Stellengesuche, Arbeitsplatzangebote, ein öffentliches Telefonbuch, Ärzteregister, eine Übersicht über alle Palästinenserministerien oder Vereine, es gibt Kundenwerbung, Hochzeitsanzeigen sowie eine Extra-Rubrik für jene 10.000 Salfeeter, die wegen der israelischen Besatzung und schwierigen Wirtschaftslage in den Palästinensergebieten ins Ausland abgewandert sind.

Die ganze Stadtverwaltung wird transparent. Themen der Ratssitzungen bleiben kein Geheimnis mehr. Bürger können sich im virtuellen Rathaus beschweren oder Verbesserungsvorschläge machen. Genau das ist das Ziel des gemeinsamen Projektes der Hanns-Seidel-Stiftung und der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ): Stärkung der Zivilgesellschaft und einer bürgernahen, demokratischen Verwaltung. Ratsuchende Palästinenser müssen auf dem Weg durch den Behördendschungel nicht mehr mit kleinen Geschenken um Aufmerksamkeit für ihre Probleme werben. Kein Antragsteller soll mehr bevorzugt werden, nur weil er zum Familienclan des Beamten gehört.

Zwei Jahre habe die Vorbereitung des Projektes gedauert, sagt der Regionaldirektor der Hanns-Seidel-Stiftung, Rudolf Sussmann. Weil es keine Meldepflicht gebe, hätten Freiwillige erst die Daten in allen Haushalten sammeln müssen. Statt Geburten wie bisher zu verheimlichen, gebe es künftig Bonuspunkte, wenn sie gemeldet werden, sagt er. "Wenn die Gemeinde weiß, wie viele Kinder es gibt, kann sie auch besser planen." Mit dem Rabatt auf Strom- und Wasserrechnungen soll den Bürgern die Internetnutzung schmackhaft gemacht werden. "In nahezu jedem Haushalt gibt es Zugang zum Internet", sagt Bürgermeister Tahsin. Die Gebühren seien mit Absicht niedrig. Während eines Rundganges durch das Rathaus zeigt Tahsin stolz sein Computerzentrum für die Schulung von Mitarbeitern und Bürgern. "Das Projekt soll erst einmal in fünf Gemeinden laufen", sagt Sussmann. Seine Vision: Irgendwann gibt es überall im Westjordanland und im Gazastreifen das E-Government.

Je weiter das Projekt in die Fläche geht, desto größer wird der Nutzen. Viele Städte sind zersplittert. Zur Stadt Salfeet gehören beispielsweise 19 Dörfer. Rund 600 Straßenblockaden und Kontrollposten der israelischen Armee gibt es nach UN-Angaben im Westjordanland. Die Fahrt zum Rathaus kann lang, beschwerlich und manchmal sogar erfolglos sein. "Was kümmert mich der Checkpoint, ich mache alles elektronisch", erklärt Sussmann den Nutzen. Zu gelegentlicher Kritik, dass mit solchen Projekten die israelische Besatzung für die Palästinenser "erduldbar" gemacht werde, sagt Sussmann: "Unsere Aufgabe ist es, Menschen zu helfen. Und das nicht erst in ferner Zukunft." (Hans Dahne, dpa) / (jk)