NSA-Skandal und US-Etatkrise: IP-Registries, ICANN, IETF und W3C gegen nationalstaatliche Internet-Fragmentierung

Die Organisationen, die die Hauptlast der Standardisierung und Verwaltung des Internets tragen, fordern nach den Snowden-Enthüllungen und angesichts der US-Etatkrise eine beschleunigte Internationalisierung der DNS-Rootzone und der Netzverwaltung.

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Von
  • Monika Ermert

Die Netzverwalter der fünf regionalen IP-Adressregistries, die Domainverwaltung ICANN sowie Vertreter der Internetstandardisierungsorganisationen IETF und W3C haben sich unter anderem für eine raschere Internationalisierung der Aufsicht über die DNS-Rootzone ausgesprochen. In einer auf einem Treffen in Montevideo verabschiedeten Erklärung rufen die Organisationen, die die Hauptlast der Standardisierung und Verwaltung des Internets tragen, dazu auf, "die Globalisierung der ICANN und der IANA-Funktion zu beschleunigen". Das Ziel müsse ein System sein, in dem alle Interessengruppen einschließlich der Regierungen aller Länder gleichberechtigt vertreten seien.

Nach wie vor liegt die Aufsicht darüber, was in die zentrale Rootzone des Domain Name System eingetragen ist, in US-Hand. Die National Telecommunications and Information Administration (NTIA), eine dem Handelsministerium unterstellte Behörde, prüft jede Veränderung in der Rootzone. Die US-Aufsicht hatte in der Vergangenheit mehrfach zu diplomatischen Auseinandersetzungen geführt.

Angesichts des derzeitigen US-Haushaltsstopps wurde zudem die Frage laut, inwieweit die anstehende Eintragung der neuen Top Level Domains (TLDs) nun unter dem Government-Shutdown aufgrund der US-Etatkrise leidet. In einer Liste der vom Handelsministerium vom Zwangsurlaub ausgenommenen Positionen findet sich allerdings auch ein "Telekommunikationsspezialist", der sich "notfallmäßig" um die ICANN kümmert. Ob damit die ursprünglich zugesicherte hohe Schlagzahl von Zulassungen – bis zu 100 neue TLDs pro Woche – gehalten werden kann, ist dabei mehr als fraglich.

Die privaten Netzverwalter beschwören in ihrer Montevideo-Erklärung das Modell der Koordination und Kooperation aller Akteure als eigentliches Erfolgsmodell des Netzes. Dieses "Multi-Stakeholder-Modell" sehen sie ganz offensichtlich durch die Enthüllungen des Whisteblowers Edward Snowden gefährdet und warnten vor "einer Fragmentierung des Netzes auf nationalstaatlicher Ebene".

Ankündigungen wie die von Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff, die eigenen Bürger durch den Aufbau eigener Infrastrukturen und durch ein mögliches Verbot von Datentransfers vor den Zugriffen durch US-Behörden zu schützen, stelle die Idee zentraler und globaler Netzverwaltung in Frage. Die langfristige Speicherung von Domaininhaberdaten oder die immer wieder geforderte Zentralisierung des Zertifikatssystems fürs sichere Routing, die schon vor dem Snowden-Sommer hoch umstritten waren, könnten noch stärker in Frage gestellt werden.

Vor einem neuen "digitalen Protektionismus" als Reaktion auf Snowdens Enthüllungen warnten auch Wirtschaftsvertreter und Diplomaten bei einer Podiumsdiskussion an der George Washington University. Vertreter des US-amerikanischen National Foreign Trade Council, aber auch der schwedischen Regierung sprachen sich in der Debatte für "E-Commerce-Kapitel" in den anstehenden Freihandelsabkommen aus. Darin gelte es, Lokalisierungspflichten für Server oder Beschränkungen von Datentransfers zu unterbinden, sagte ein US-Vertreter. Die Mitglieder des Innenausschusses im Europaparlament befürworteten demgegenüber fast zur selben Zeit eine Aussetzung von Datentransfers in die USA nach dem bestehenden Safe-Harbor-Abkommen. (jk)