Oberlandesgericht Hamm untersagt medizinisch unnötige Beschneidung

Außer Kontrolle

Nach der umstrittenen Änderung des § 1631 BGB war es still geworden zum Thema Beschneidung. Die Entscheidung des OLG Hamm, eine Beschneidung eines 6-jährigen Kindes zu untersagen, dürfte die Debatte neu anheizen

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Im Dezember 2012 wurde im Eilverfahren beschlossen, den § 1631 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), der sich mit der Personensorge der Eltern befasst, zu ändern. 434 Abgeordnete stimmten für die Änderung, 100 dagegen, 46 enthielten sich, 40 gaben keine Stimme ab.

Damit umfasste die Personensorge insbesondere auch die Frage der Beschneidung des Kindes, gerade auch im sehr jungen Alter (Säuglingsalter).

§ 1631d
Beschneidung des männlichen Kindes
(1) Die Personensorge umfasst auch das Recht, in eine medizinisch nicht erforderliche Beschneidung des nicht einsichts- und urteilsfähigen männlichen Kindes einzuwilligen, wenn diese nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt werden soll. Dies gilt nicht, wenn durch die Beschneidung auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks das Kindeswohl gefährdet wird.
(2) In den ersten sechs Monaten nach der Geburt des Kindes dürfen auch von einer Religionsgesellschaft dazu vorgesehene Personen Beschneidungen gemäß Absatz 1 durchführen, wenn sie dafür besonders ausgebildet und, ohne Arzt zu sein, für die Durchführung der Beschneidung vergleichbar befähigt sind.

Der Änderung vorangegangen war eine hitzige Debatte, die sowohl medizinisch, religiös motiviert als auch gesellschaftspolitisch geführt wurde und die der Entscheidung des Landgerichtes Köln folgte, eine Beschneidung als Körperverletzung zu bewerten. Obgleich die Entscheidung des Landgerichtes lediglich eine Einzelfallbeurteilung darstellte, war sie doch der Auslöser für eine Debatte, die auch immer wieder die Frage aufwarf, inwiefern Veränderungen des Körpers, gerade auch dauerhafte, auch dann vorgenommen werden dürften, wenn sie nicht medizinisch notwendig waren. Von Anfang an wurde die Debatte aber auch dahingehend geführt, wie, gerade in Deutschland, durch ein etwaig drohendes Verbot von Beschneidungen Minderjähriger "jüdisches Leben unmöglich gemacht werden würde". Der Tenor, dass ein Verbot von Beschneidungen antisemitisch sei, war prägend in der Diskussion und als der geänderte § 1631 nunmehr die Beschneidung erlaubte, waren insbesondere die Vertreter des jüdischen Glaubens zufrieden.

Kindeswohl zu wenig berücksichtigt

Die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Hamm, eine Beschneidung aus rein kulturellen Gründen zu untersagen, dürfte daher erneut zu einer hitzigen Debatte führen. Das OLG hatte mit seinem Urteil das vorangegangene Urteil des Amtsgerichtes Dortmund bekräftigt.

Der Fall weist allerdings etliche Besonderheiten auf, könnte jedoch auch in Bezug auf einige Aussagen durchaus auch richtungsweisend sein.

Die Kindesmutter (KM) des 6-jährigen Jungen stammt, wie auch der Kindesvater (KV) aus Kenia, die Eltern leben getrennt, die alleinige Personensorge (das Jugendamt fungiert als Ergänzungspfleger) liegt bei der Mutter. Diese wollte nunmehr mit dem Jungen nach Kenia reisen und fürchtete, dass der Junge, so nicht beschnitten, dort nicht als "vollwertiger Mann" anerkannt werden würde. Aus diesem Grunde hielt sie eine Beschneidung für notwendig, diese sei Brauch in ihrer Heimat. Weiterhin führte sie Gründe der Intimhygiene an, die für eine Beschneidung sprächen.

Sowohl das Amtsgericht Dortmund wie auch das Oberlandesgericht Hamm hielten diese Gründe jedoch nicht für ausreichend. Im Urteil wurde insbesondere darauf hingewiesen, dass die KM ihren 6jährigen Jungen nicht über die Beschneidung aufgeklärt hätte und auch selbst nicht über sie aufgeklärt worden sei. Zwar sei der Junge noch nicht in der Lage, konkret selbst zu entscheiden ob er eine Beschneidung wünsche, dennoch sei bei der Entscheidung für das Kindeswohl auch der Wille des Kindes zu berücksichtigen.

Auch wenn ein Sechsjähriger noch nicht in der Lage sei, über seine Beschneidung selbst zu entscheiden, verpflichte die gesetzliche Vorschrift die sorgeberechtigten Eltern und - im Falle eines mehr als sechs Monate alten Kindes - auch den Arzt, die Beschneidung mit dem Kind in einer seinem Alter und Entwicklungsstand entsprechenden Art und Weise zu besprechen und die Wünsche des Kindes bei der elterlichen Entscheidung zu berücksichtigen.
([http://www.olg-hamm.nrw.de/behoerde/presse/02_aktuelle_mitteilungen/116-Sorgerecht_Beschneidung.pdf Pressemitteilung des OLG Hamm)

Ebenfalls zur Entscheidung trugen folgende Aspekte bei: der Junge sei evangelisch getauft, von Besuchen in Kenia sei nur selten auszugehen, der Lebensmittelpunkt sei in Deutschland. Verschärfend wurde festgestellt, dass das psychische Wohl des Kindes auch deshalb gefährdet sein könne, weil die KM selbst sich weigerte, das Kind zur Beschneidung zu begleiten.

Die Entscheidung beruht insofern auf einem sehr speziellen Fall. Sie lässt aber deutlich erkennen, dass durch die neue Vorschrift nicht zwangsläufig jede Beschneidung, die per se mit religiösen oder kulturellen Riten begründet wird, vom Gericht auch als durch den § 1631d BGB legitimiert angesehen wird, die neugeschaffene Regelung somit also keinen Blankoscheck darstellt. Gerade auch der Begriff "Kindeswohl", der ausdrücklich im Gesetz angeführt wurde, wird insofern noch oft von Gerichten mit Inhalt gefüllt werden müssen. Auch die Ansicht des OLG Hamm, dass die Intimhygiene nicht als Begründung für eine Beschneidung angesehen werden kann, ist insofern als wichtig anzusehen, da gerade diese Intimhygiene, neben dem Schutz vor ansteckenden Krankheiten, gerne in Debatten als Pro-Beschneidungs-Argument genutzt wird.