Portugals Regierung knickt vor Protesten ein

Die konservative Regierung nimmt neueste Sparpläne nach Großdemonstrationen zurück und will für mehr Gerechtigkeit sorgen

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Da der Unmut über immer neue Sparpläne in Portugal zu groß wurde, musste die Regierung unter Pedro Passos Coelho am Samstag zurückrudern. Noch vor dem Treffen mit dem portugiesischen Präsidenten Anibal Cavaco Silva hatte sich der Regierungschef hart gezeigt, doch nach der achtstündigen Sitzung wurde gegen 22 Uhr ein Kommuniqué veröffentlicht und Sparmaßnahmen zurückgenommen. Der konservative Ministerpräsident ist bereit, "Alternativen zu suchen". Die Erhöhung des Arbeitnehmeranteils zur Sozialversicherung wurde auf Eis gelegt. Das Präsidialamt wurde während des Treffens von etwa 15.000 Menschen belagert, um den Druck auf die Regierung zu erhöhen.

Weil die Regierung den Arbeitnehmeranteil zur Sozialversicherung von 11 auf 18 Prozent erhöhen und im Gegenzug den Arbeitgeberanteil von 23,75 auf 18 Prozent senken wollte, hatte vor einer Woche zu riesigen Demonstrationen geführt. Hunderttausende waren in vielen Städten auf die Straße gegangen. Portugal erlebte eine Protestwelle, wie sie das Land seit der Nelkenrevolution nicht mehr gesehen hat. 1974 hatten linke Militärs friedlich die Diktatur gestürzt. Längst schließen die Protagonisten von damals eine Wiederholung zum Schutz von demokratischen und sozialen Rechten nicht mehr aus.

Dass die Troika aus Europäischer Zentralbank (EZB), EU-Kommission und Internationalem Währungsfonds (IWF) diese Maßnahmen vorgeschrieben hat, war für die Demonstranten ausgemachte Sache. Schließlich hatte Coelho die Maßnahme verkündet, als sich eine Troika-Delegation in der Hauptstadt Lissabon aufhielt, um die Einhaltung der Auflagen zu überprüfen. Sie wurden dem Land mit dem Gang unter dem Rettungsantrag gemacht. Im Frühjahr 2011 ging Portugal unter den temporären Rettungsschirm (EFSF) und wird seither mit 78 Milliarden Euro gestützt.

Coelhos Problem war auch, dass seine Regierung auf der Kippe stand. Die rechtskonservative Volkspartei (CDS‑PP), die Coelhos konservative Partei stützt, die sich Sozialdemokratische Partei (PSD) nennt, hatte sich von der Maßnahme distanziert. Auch mehrere PSD-Minister hatten sich gegen die Reform gestellt und bezweifelt, dass sie von der Verfassung gedeckt ist. Unklar ist, ob auch die Streichung des 14. Monatsgehalts im öffentlichen Dienst zurückgenommen wird. Coelho wollte daran 2013 festhalten, obwohl das Verfassungsgericht sie erst kürzlich als verfassungswidrig erklärt hatte. Die höchsten Richter hatten die Regierung aus "höherem Interesse" aber nicht zur Nachzahlung 2012 verpflichtet.

"Robin Hood der Reichen"

Angesichts der Spaltung in der Regierung hebt das Kommuniqué hervor, "die Schwierigkeiten, welche die Solidität der Regierungskoalition beeinflusst haben, sind überwunden". Ob das tatsächlich der Fall ist, wird aber bezweifelt. Denn diverse Minister haben gefordert, im Dialog eine Einigung mit den Sozialpartnern zu finden. Garantiert werden soll eine "Ausgeglichenheit und Gerechtigkeit bei den zu erbringenden Opfern". Die Familien mit "geringem Einkommen" sollen geschützt werden und "ein nachhaltiges Wachstum" ins Auge gefasst werden.

Was hier nun als Ziel verkündet, ist nichts weniger als ein kopernikanischer Schwenk. Denn bisher wurden vor allem die Ärmsten vom Sparkurs besonders getroffen, wie durch die Senkung des Mindestlohns auf nur noch 485 Euro, durch Kürzungen bei der Bezugsdauer des Arbeitslosengelds oder durch die massive Anhebung der Mehrwertsteuer auf schon 23 Prozent. Sogar ein Arzt- oder Krankenhausbesuch ist längst für viele ein Luxus. Damit wurde die portugiesische Wirtschaft tief in die Rezession gestürzt. Gegenüber dem Vorjahreseitraum ist die Wirtschaftsleistung im zweiten Quartal sogar um 3,3 Prozent geschrumpft.

Experten fragen sich, wie es die Troika aufnehmen wird, dass Portugal offenbar die Auflagen nicht mehr umsetzen will. Die hatte dem Land gerade erlaubt, die Defizitziele aufzuweichen. Weil der bisherige Kurs dazu geführt hat, dass die Steuereinnahmen eingebrochen sind, darf Lissabon 2012 ein höheres Haushaltsdefizit ausweisen und muss erst 2014 wieder die Stabilitätsmarke von drei Prozent einhalten. Viele Demonstranten nahmen der Regierung die neuen schönen Worte aber nicht ab. Schließlich hatte Coelho noch am Freitag im Parlament verkündet, das Land werde "in eine bodenlose Armut stürzen, die nicht zwei oder drei, sondern 20 oder 30 Jahre anhalten würde", sollten die Auflagen nicht erfüllt werden. Immer mehr Portugiesen wollen schlicht die "Troika zum Teufel jagen". Den Regierungschef nennen sie nur noch "Robin Hood der Reichen" und fordern den Rücktritt seiner Regierung.