Psychiaterin verurteilt, weil ihr Patient einen Mord beging

Frankreich: In einem aufsehenerregenden Gerichtsurteil wurde die Frau wegen fahrlässiger Tötung zu einer einjährigen Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt

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Der Täter war schnell bekannt: Es war der damals 34jährige Enkel, der 2004 dem 83-jährigen Lebensgefährten seiner Großmutter mit mehreren Axthieben getötet hatte. Der Täter ging jedoch straffrei aus, weil er wegen einer paranoiden Schizophrenie nicht zur Verantwortung gezogen werden konnte. Der Sohn des Getöteten gab sich mit diesem Urteil nicht zufrieden, die Frage der Verantwortlichkeit war für ihn damit nicht geklärt. Es müsse jemanden geben, der in dieser tragischen Geschichte die Verantwortung hat, wird er zitiert.

Am Dienstag verhandelte ein Gericht in Marseille in einem Verfahren, das als erstes seiner Art in Frankreich gilt und das im Milieu der Psychiater mit großer Aufmerksamkeit aufgenommen wurde, in der Sache. Der Richter verurteilte die Psychiaterin Danièle C., die den Geisteskranken jahrelang betreut hat, zu einem Jahr Gefängnis auf Bewährung sowie zu einer Entschädigungszahlung an die klagenden Nachkommen des Ermordeten. Sie wurde der fahrlässigen Tötung für schuldig gesprochen.

Das Gericht wirft der Frau vor, dass sie in ihrer Betreuung des Patienten zu nachlässig war, Fehler gemacht hat und dessen Gefährlichkeit nicht richtig einschätzte. So wurde ihr Patient mehrmals auf ihre Einschätzung hin nicht in eine geschlossene Anstalt gebracht, sondern auf freien Fuß gesetzt. Schon vor dem eingangs erwähnten Mord bedrohte er andere mit Waffen und griff sie an.

Dennoch hielt die ihn betreuende Psychiaterin laut Medienberichten zum Urteil an ihrer Einschätzung fest, dass die im Jahr 2000 erstellte Diagnose einer geistigen Erkrankung ("psychose avec syndrome délirant de type paranoïde"), die in seinem Fall Gefahren für andere impliziert, nicht zutreffe. Andere Psychiater sprachen von einer obstinaten Weigerung ihrer Kollegen, diese Diagnose anzuerkennen. Der Richter schloss sich dieser Ansicht an. Im Oktober 2009 hatte ein Gericht bereits das Krankenhaus, in dem der gewalttätige Mann untergebracht war, bevor er den Mord beging, wegen Fahrlässigkeit verurteilt.

Das aktuelle Urteil dürfte Folgen für die Arbeit der Ärzte haben, kommentierte der Anwalt der Verurteilten: "Wenn ein Psychiater mit der Angst leben muss, dass er von einem Gericht verurteilt wird, hat dies sehr konkrete Folgen; wahrscheinlich wird er mit härteren Maßnahmen gegen seine Patienten reagieren."