Hier ist das andere System

Der Computer-Thriller "Colossus - The Forbin Project"

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Die Tatsache, dass Computer an den empfindlichsten Stellen des Militärs und insbesondere bei der atomaren Verteidigung und Strategie an entscheidender Stelle mitwirken, hat vor allem im Kalten Krieg bei nicht wenigen Menschen Angst und Unbehagen ausgelöst. Von der Kontrolle des Luftraums und der Warnung sich eventuell nähernder feindlicher Atomraketen bis hin zum automatischen Abschuss der eigenen Kernwaffen reichte die "Kompetenz" der Maschinen. Dass die Gründe dafür in der zunehmenden Komplexität der militärischen Infrastruktur einerseits, in den immer kürzeren Zeiträumen vom Abschuss bis zum Einschlag der Waffen (Zeiträume, die für menschliche Entscheidungsfindungen oftmals viel zu kurz sind) andererseits liegen, dürfte auch nicht beruhigender auf die Betroffenen gewirkt haben.

In der späten Hochphase des Kalten Krieges hatten beide Seiten die Computer und ihre Unabhängigkeit von menschlicher Entscheidung schließlich selbst als Waffe eingesetzt. Doomsday-Maschinen würden auf gegnerische Angriffe reagieren, selbst wenn kein Mensch mehr da ist, der den Vergeltungsknopf drücken konnte. Dass derartige maschinelle Horrorszenarien Eingang in popkulturelle Diskurse fanden, erscheint schon beinahe zwangsläufig. Der im Jahre 1970 erschienene Spielfilm "Colossus - The Forbin Project", der auf dem gleichnamigen Roman von D. F. Jones von 1966 (der erste in einer Trilogie) basiert, verarbeitet genau dieses Thema.

"Autark die Verteidigung der USA übernommen"

Der Computerwissenschaftler Dr. Charles Forbin hat maßgeblich an der Entwicklung des Supercomputers Colossus mitgewirkt, welcher in einem Berg in den Rocky Mountains untergebracht ist, wo er völlig autark die Verteidigung der USA übernommen hat. Zu Beginn des Films verlässt Forbin als der letzte Mensch das Innere des gebäudeförmigen Computers, fährt die Systeme hoch, verschließt alle Zugänge und von da ab schützt tödliche Strahlung den Computer vor menschlichem Zugang. Von entfernten Terminals aus wird er kontrolliert. Gerade als der Präsident der USA der Bevölkerung die nun anstehende Zeit des maschinell garantierten Friedens ankündigt, wartet Colossus mit der Mitteilung auf: "There is another system."

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Dr. Charles Forbin verlässt den Colossus-Computer-Komplex

Die Sowjets haben, unbemerkt von den Amerikanern, selbst einen Supercomputer mit dem Namen Guardian gestartet. Colussus und er verbinden sich nun selbstständig miteinander, ohne dass die Ingenieure dies verhindern könnten. Jeder menschliche Eingriff wird von den Computern mit dem Abschuss einer Atomwaffe auf bewohntes Gebiet geahndet.

Übernahme der Kontrolle

Nach und nach ergreifen beide Supercomputer die Kontrolle über sämtliche Bereiche des menschlichen Lebens. Forbin wird von Colossus als Überwacher und Chefentwickler in Festungshaft genommen und in seiner Wohnung, die von Kameras, Mikrofonen und Computerterminals kontrolliert wird, eingesperrt. Jeder Versuch sich gegen die Rebellion der Maschinen aufzulehnen wird emotionslos und hart bestraft.

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Forbin stellt Colossus dem Präsidenten der USA vor

Die Analogien zwischen den mikroelektronischen Entwicklungen des wissenschaftlich-militärischen Komplexes in den 1950er- und 1960er-Jahren und dem, was der Film als düstere Dystopie vorstellt, reichen wesentlich weiter als nur die Namensähnlichkeit des Filmcomputers zum "Colossus"-Computer, der 1943 zur Dechiffrierung geheimer Nachrichten des Deutschen Kriegsgegners in Großbrittanien in Betrieb genommen wurde.

Die Software-Krise

Die ab den 1960er-Jahren durch den Computereinsatz in SAC NORAD und anderen Verteidigungseinrichtungen zunehmend intensiver geführte Debatte um Computerfehler (die unter der Bezeichnung "Softwarekrise" in die Militärgeschichte des 20. Jahrhunderts eingegangen ist) findet ihren direkten Niederschlag im Treiben des Film-Colossus.

Wie oder warum das System von menschlichen Befehlen unabhängig geworden ist, können Forbin und sein Team ebenso wenig erklären wie die Tatsache, dass das System emergente Eigenschaften entwickelt. In der mehrfach im Film benutzten Bezeichnung "Computergehirn" sind aber gerade diese Eigenschaften immer schon impliziert: Colossus fällt Entscheidungen, die sich aus seiner ursprünglichen Hard- und Softwarekonfiguration nicht herleiten lässt. Er entwickelt sich ständig weiter und erhebt schließlich einen Machtanspruch, der die Menschen als Sklaven sieht. Der Rechner verhält sich schließlich wie ein Lebewesen.

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Colossus entdeckt die Existenz von Guardian

Sicherlich ist der Filmcomputer genau damit als realistisches technisches Artefakt historisch wieder "entschärft" und rückt in den Bereich weiter entlegener Science Fiction; doch Phänomene wie "technologische Singularität", die in der Futurologie und akademischen Debatte um Technikfolgen antizipiert werden, haben auch diese Eigenschaften Colossus' bereits im Visier.

"Doomsday-Maschine"

Wie jene "Doomsday-Maschine", von der Dr. Seltsam im gleichnamigen Film Stanley Kubricks aus dem Jahr 1962 schon sagte, dass sie nur dann einen (abschreckenden) Sinn habe, wenn der Kalte-Kriegs-Gegner auch von ihrer Existenz wisse, wird Colossus und der Ort, an dem er sich befindet, gleich zu Beginn des Films vom Präsidenten der ganzen Welt vorgestellt. Und wie die meisten Beinahe-Atomkriege, die durch Computerfehler ausgelöst wurden, wird von eben diesem Präsidenten auch die Machtergreifung Colossus' bis zum Ende vor der Öffentlichkeit zu vertuschen versucht. Dass dieses Ende dann allerdings bitter verläuft, macht dem Präsidenten ebenso einen Strich durch seine Rechnung, wie es den technophoben Diskurs des Films auf die Spitze treibt - ob "Colossus - The Forbin Project" darin immer noch bloß Science Fiction ist, hat die "Doomsday-Maschine" noch nicht entschieden.

Die DVD zu "Colossus- The Forbin Project" von Ostalgica setzt eine Reihe mit fulminanten Veröffentlichungen des Science-Fiction-Genres, für die das Label in der Vergangenheit stand, nicht nur fort - sie übertrifft die Vorgänger sogar. Erstmals liegt eine deutsche DVD zum Film vor, die ihn in seinem korrekten Bildverhältnis mit tadellos restaurierter Bild- und Tonspur präsentiert.