"Bemerkenswertes sexistisches Klischee"

NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann glaubt, dass Mädchen einen besseren Zugang zu Naturwissenschaften entwickeln, wenn sie von Jungen getrennt unterrichtet würden. Die NRW-Piraten halten das für eine "antiquitierte Idee"

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Erzielen Mädchen bessere Lernerfolge, wenn sie in Naturwissenschaften getrennt von den Jungen unterrichtet werden? Die Schulministerin von Nordrhein-Westfalen, Sylvia Löhrmann (Grüne), glaubt das dies für manche Fächer sinnvoll sein könnte. Die alte Idee vom getrennten Unterricht findet schon seit längerem unter dem Begriff reflexive Koedukation neuen Eingang in die Bildungsdiskussion.

"Ein zeitweiser geschlechtergetrennter Unterricht wird dann als sinnvoll betrachtet und eingesetzt, wenn die geschlechtsspezifischen Rollen- und Kompetenzzuweisungen im Unterricht zu Benachteiligungen führen. Das trifft z.B. für Mädchen im Sportunterricht und in den als "männlich" geltenden technisch-naturwissenschaftlichen Fächern zu. In reinen Mädchen- oder Jungengruppen fällt die Geschlechterinszenierung aus der Interaktion heraus und es entwickeln sich andere Lernformen und Leistungserfolge." ( Gender und Schule)

Löhrmann griff dies nun in einem Gespräch mit Medienvertretern auf und erklärte, dass der getrennte Unterricht "zumindest zeitweise" zum Beispiel in Naturwissenschaften, Mathematik oder Informatik sinnvoll sein könnte. Sie habe dabei keine vollkommen getrennte Mädchen-und Jungenschulen im Sinn, sondern zeitweilig getrennte Kurse oder Unterrichtseinheiten. Um den Journalisten den Vorteil der voneinander getrennten Schülerinnen und Schüler nahezubringen, versuchte Löhrmann anschaulich zu argumentieren:

"Lehrkräfte müssen darauf vorbereitet werden, dass Mädchen einen anderen Zugang brauchen, um anzubeißen. Mädchen brauchen eher einen Anwendungsbezug, während viele Jungen Technik an sich fasziniert." In Chemie etwa wollten Mädchen vor allem wissen: Wofür brauche ich das? "Wenn sie dann wissen, dass das zum Beispiel für Kosmetik interessant ist, haben sie einen eigenen Zugang."

Das ist - vielleicht weil Politiker mit Journalisten gerne plakativ reden -, angesichts der Gender-Differenziertheit, die die reflexive Koedukation beansprucht, schlicht heruntergebrochen. In der Pressemitteilung der Piratenpartei NRW wird das Kosmetikbeispiel der Ministerin als "bemerkenswertes sexistisches Klischee" bezeichnet. Geschlechtertrennung würde keine Probleme lösen, die durch fehlende Qualität des Unterrichts entstehen, so der Bildungsexperte der NRW-Piraten, Klaus Hammer:

´"Frau Löhrmann kann sich nicht an die Spitze der Integrations- und Inklusionsbewegung stellen wollen und dann solch einen Rückschritt in die Geschlechtertrennung vollziehen."

"Schüler müssen selbst wählen dürfen. Den Reformvorschlag der Bildungsministerin lehnen die NRW-Piraten als antiquiert ab", so die Piraten.

Eine Amts-Vorgängerin der Grünen-Politikerin Löhrmann, nämlich Barbara Sommer von der CDU, hatte bereits 2008 einen bemerkenswert ähnlichen Vorschlag zum getrennten Unterricht geäußert: "Ich bin der Meinung, dass eine phasenweise Trennung von Mädchen und Jungen durchgeführt werden soll, wenn dies pädagogisch sinnvoll ist." Auch Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) und andere Unionspolitiker äußerten sich entsprechend.