Absurde Verschwörungstheorie um Wikileaks

Alles Propaganda? Der iranische Präsident behauptet, dass die WikiLeaks-Veröffentlichungen von der US-Regierung beabsichtigt wurden.

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Im Januar 2008 verkündete Marc Lynch, viel zitierter Professor für Nahoststudien in Washington, dass die Strategie von George W.Bush, Iran zu isolieren, gescheitert sei. Die Wirklichkeit sehe vollkommen anders aus. Überall, wohin man komme - egal ob in Katar, Saudi-Arabien oder Ägypten -, könne man dabei zusehen, wie iranische Politiker, allen voran Ahmadinedschad, alte Vorurteile und Tabus zerschmettern würden: indem sie sich herzlich mit arabischen Regenten und Politikerkollegen treffen. Nichts da von alter Feindschaft: Ahmadinedschad spricht beim Gipfeltreffen der Golfstaaten-Vereinigung (GCC) in Doha, der saudische König Abdullah persönlich lädt Ahmadinedschad zum Mekka-Pilger-Besuch ein. Wieder ist die Rede von herzlichen Gesprächen. "The king used the occasion to hold cordial talks." Auch mit Ägyptens Mubarak führte Ahmadinedschad herzliche Telefongespräche. Die Isolationspolitik von Bush, so der damalige Schluss Marc Lynchs, führe gerade eher zu Annäherungen.

Und gestern dann die von WikiLeaks veröffentlichten Diplomatenberichte, welche arabische Führer aus Saudi-Arabien, Katar und Ägypten mit nicht gerade herzlichen Worten, sondern sehr giftigen über die "gefährliche und böse Schlange" Iran zitieren (siehe "Evil Iran". Manche der Äußerungen sind ziemlich aktuell, manche liegen einige Jahre zurück. Hat sich die Einstellung der Führer seit Ende 2007 grundlegend gewandelt oder sprechen sie immer doppelzüngig, wie dies der katarische Premier im Dezember 2009 als Programm erklärt: "They lie to us, and we lie to them"?

Für den iranischen Präsidenten Ahmadinedschad steht fest, woher die wahre Lüge rührt: Das WikiLeaks-Material sei nicht einem Leck, also einer unerwünschten Datenweitergabe, zuzuschreiben, sondern "in einer organisierten Weise weitergegeben worden" - von der US-Regierung selbst. Damit antwortete Ahmadinedschad laut dem iranischen Fernsehsender Press.TV auf Fragen zu Cablegate, die ihm während einer Pressekonferenz gestellt wurden.

Das "WikiLeaks"-Spiel sei keinen Kommentar wert, so der iranische Präsident. Das sei nur Zeitverschwendung. Wie immer bei Propaganda - in Ahmadinedschads Rhetorik hat dieser Umkehrschluss einen bevorzugten Platz - sei stets das Gegenteil des Behaupteten richtig. Die Wikileaks würden lediglich einen "hegemonialen Diskurs" mit eindeutigen politischen Interessen wiedergeben:

"Wenn sie behaupten, dass sie Iran isoliert haben, dann heißt das, dass sie selbst isoliert sind und wenn sie sagen, dass Iran wirtschaftlich schwach ist, dann bedeutet es, dass Iran stärker geworden ist. [..] Wenn sie sagen, dass es irgendwo eine Diktatur gibt (Ahmadinedschad wird in einem Diplomatenbericht als "Hitler" bezeichnet, Einf. d. A.), dann bedeutet das, dass dieses Land wirklich von seiner Bevölkerung auserwählt ist."

Die israelische Zeitung Ha'aretz berichtet eine weitere Äueßrung von der Press.TV-Fragestunde, in der Ahmadinedschad sich sehr deutlich von Mutmaßungen über gestörte Beziehungen zu den arabischen Staaten abgrenzt:

"Die Länder in der Region sind alle miteinander befreundet. Solche böswilligen Unterstellungen werden keinen Einfluss auf die Beziehungen der Länder untereinander haben."

Indessen äußerte sich der israelische Premierminister sehr zufrieden über die WikiLeaks, da sie beweisen würden, dass der ganze Nahe Osten Angst vor Iran habe. Laut Netanyahu sei man überdies gut auf die Wahrscheinlichkeit solcher Veröffentlichungen vorbereitet gewesen:

"Every Israeli leader has known for years that that dispatches are likely to leak out, so we adapted ourselves to the reality of leaks.That has a bearing on who I invite to meetings. No classified Israeli material was exposed by WikiLeaks."