Na dann tagen wir mal schön

Der von der Bundesregierung neu gegründete "Runde Tisch zum Kampf gegen Kindesmissbrauch" hat seine Arbeit aufgenommen

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Am Freitagvormittag war es endlich soweit. Knapp sechzig, teilweise hochrangige Vertreter aus Kirche und Politik, Justiz und Medizin, aus Sport- und Wohlfahrtsverbänden trafen sich in Berlin unter der Regie dreier Bundesministerinnen, um darüber zu beraten, wie man dem Kindesmissbrauch, der in den letzten Wochen und Monaten in diversen öffentlichen Bildungsinstitutionen ruchbar geworden war, künftig besser und wirksamer begegnen könnte.

Ärger im Vorfeld

Schon im Vorfeld war Ärger an diesem Gremium und vor allem an seiner Zusammensetzung laut geworden. Zunächst wollte die Bundesjustizministerin nur die Katholische Kirche, in deren Umfeld die meisten Missbrauchsfälle passiert waren, am Tische haben. Erst nach ausführlichen Gesprächen mit anderen Regierungsvertretern, ließ sie sich dazu breitschlagen, auch die anderen gesellschaftlich relevanten Gruppen einzuladen.

Dann beklagten sich etliche unabhängige Hilfsorganisationen wie "Wildwasser", "Tauwetter" oder "Zartbitter", die sich ausschließlich um die Opfer sexueller Gewalt kümmern, dass sie nicht von den Ministerinnen berücksichtigt worden sind. Auch hier konnten sich die veranstaltenden Ministerien erst nach diversen Diskussionen dazu durchringen, dass zumindest ein Vertreter dieser Organisationen mit am Tisch sitzen darf.

Schließlich sorgte auch die Ankündigung der "Missbrauchsbeauftragten" der Bundesregierung, die ehemalige Familienministerin Christine Bergmann, der Runde Tisch solle auch zu einer Art Versöhnung zwischen Opfern und Tätern beitragen, für erhebliche Aufregung und Unruhe.

Showveranstaltung?

Das Meeting scheint die Sorgen und Befürchtungen der Nichtgeladenen zu bestätigen. Von einer "Showveranstaltung" sprach gar die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag. Und in der Tat wurden zunächst mal wieder, wie bei solchen medienwirksamen Kampagnen üblich, große und bedeutungsschwangere Grundsatzreden gehalten.

So sprach die Bundesjustizministerin etwa von "großen Aufgaben", vor denen das Gremium in den nächsten Monaten stehe, während die Bundesfamilienministerin vor allem die "Verantwortung" in den Mittelpunkt stellte, die man gegenüber den Opfern des Missbrauchs habe. Eine Vorstellung, wie man diesen hehren Anspruch zu realisieren gedenke, wollte und konnte sie noch nicht präsentieren. Das war vielleicht auch etwas zu viel des Guten. Der Runde Tisch nimmt ja gerade auch erst seine Arbeit auf.

Vorerst tagen, nichts als tagen

Gleichwohl vertagte sich die Expertenrunde nach seiner konstituierenden Sitzung und dem anschließenden Pressgespräch mit den drei Ministerinnen auch gleich wieder. Erst im September will man sich wieder treffen und die erarbeiteten Vorschläge gemeinsam beraten. Bis dahin wird man sich in drei Arbeitsgruppen aufspalten. Widmet sich die erste unter Vorsitz der Bundesfamilienministerin Schröder der aktiven Präventionsarbeit, beschäftigt sich die zweite unter Federführung von Frau Leutheusser-Schnarrenberger mit Gesetzesfragen zur Verjährung und Entschädigung. Der dritte Arbeitskreis, den Frau Schavan leiten wird, will wiederum die Erforschung der Pädophilie vorantreiben und sich Gedanken machen, wie diese Erkenntnisse in die Ausbildung von Ärzten, Lehrern und Erziehern einfließen könnten.

Ende des Jahres will man dann der Öffentlichkeit Rede und Antwort stehen und konkrete Ergebnisse präsentieren. Spätestens dann wird man sehen, ob der "Runde Tisch" wirklich zu großen Taten fähig ist, Politik und den zu Rate gezogenen Experten zum "Missbrauch" mehr eingefallen ist als bloßer Aktionismus, der sich dann häufig in mehreren Fernsehspots, Appellen und Plakatkampagnen mit Prominenten kundtut. Und spätestens dann wird man auch wissen, ob sich dann noch jemand für dieses Thema interessiert. Es könnte nämlich gut möglich sein, dass andere Themen diese Fragen überlagern und sie von der öffentlichen Agenda drängen.

Vieles liegt auf dem Tisch

Bislang liegen bekanntlich viele Vorschläge und Konzepte auf dem Tisch, wie dem Missbrauch Einhalt geboten werden könnte. Ob diese immer praktikabel sind und eher der Beruhigung der Öffentlichkeit und der Opfer dienen, sei mal dahingestellt.

Jedenfalls will man künftig schon bei Bewerbungsgesprächen potentielle Täter dadurch abzuschrecken, dass man in bestimmten Berufen den "sexuellen Missbrauch" zum Thema macht. Zudem will man auf die Verlängerung der Löschungsfristen möglicher Täter im Bundeszentralregister dringen und von erwachsenen Personen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, amtlich beglaubigte "Führungszeugnisse" verlangen. Wie man sich deren Erstellung in der Praxis vorstellen kann, liegt aber noch im Dunkeln. Die Ermittlungs- und Verfolgungsbehörden arbeiten jetzt schon an der Grenze des Zumutbaren und Belastbaren.

Auch ist noch völlig unklar, wie man mit dem Problem der Verjährung straf- und zivilrechtlich umgehen will. In der Regel läuft sie zehn Jahren, nachdem das Opfer volljährig geworden ist, aus, während die Schadensersatzansprüche bereits drei Jahre nach dem 21. Geburtstag erlöschen. Beide Fristen will man zwar verlängern, um Entschädigungszahlungen auch über diese Zeiträume möglich zu machen, eine Lösung dieser Rechtsfrage scheint aber nicht ganz einfach.

Mehr Überwachung und Kontrolle

Im Gespräch ist schließlich auch, dass man trotz aller Finanznot die Beratungshilfen und Beratungsangebote für die Opfer merklich ausbauen will und Bund, Länder und Gemeinden nur noch jene Institutionen finanziell unterstützen sollen, die ihrerseits bereit sind, eine freiwillige "Selbstverpflichtungserklärung" abzugeben. Darin soll sich die Institution auf bestimmte Regeln und Standards verständigen, die sie im Umgang mit Kindern und Jugendlichen einhalten will. Beispielsweise wie viel "Nähe" sie künftig zwischen Erwachsenen, Kindern und Jugendlichen dulden will.

Im Auge hat man dabei wohl auch einen "Verhaltenskodex" für Erzieher und Erzieherinnen. Einen solchen zu erstellen, darauf hat sich die Bundesregierung im Dezember 2001 bereits auf dem "Weltkongress gegen sexuelle Ausbeutung" im japanischen Yokohama verpflichtet. Geschehen ist diesbezüglich und in dieser Richtung trotz aller Beteuerungen aber bislang nichts.