Ein Krieg, der notwendig ist, aber keiner sein soll

Am Hindukusch steuert die NATO auf die größte militärische Pleite seit ihrer Gründung zu.

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Die Anforderung von US-Kampfjets durch den deutschen Kommandanten Klein in Kundus, um den Raub zweier Tanklastzüge durch die Taliban zu unterbinden, hat, da bei dem Angriff offenbar auch etliche Zivilisten den Tod fanden oder schwer verletzt wurden ( War der Befehl zum Abwurf der Bomben falsch?), weltweiten Protest und weltweite moralische Entrüstung ausgelöst – nicht nur in Afghanistan, sondern auch und vor allem bei den Verbündeten.

Zu Recht, wenn es sich bei den Kampfhandlungen am Hindukusch, wie die Bundesregierung seit Jahren nicht müde wird zu beteuern, um keinen Krieg handelt. Zivilisten aus heiterem Himmel mit Kampfjets zu bombardieren, wäre dann auch ein Willkürakt, der unverhältnismäßig und daher durch nichts zu rechtfertigen ist und deswegen juristisch zu belangen wäre. Dementsprechend prüft jetzt auch die Staatsanwaltschaft Potsdam (wie immer in solchen Fällen), ob ein Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Tötung gegen den deutschen Kommandeur eingeleitet werden muss.

Zu Unrecht allerdings dann, wenn es sich tatsächlich um einen Krieg handelt, den nicht nur die USA im Süden, sondern eben auch die Bundeswehr im Nordosten Afghanistans führt. Mit Martin van Creveld, dem derzeit wohl prominentesten Analytiker und Kenner „asymmetrischer Kriege“ müsste man dann einfach lapidar und nüchtern feststellen, dass dort, wo gehobelt wird, selbstverständlich auch Späne fallen. Der Glaube, dass sich in derartigen Gefechten streng zwischen Zivilisten und Nicht-Zivilisten, Kombattanten und Nicht-Kombattanten, sauberen, schmutzigen Krieg oder Nicht-Krieg trennen oder unterscheiden ließe und dabei auch keine „collateral damages“ zu beklagen wären ( Sauber bleiben am Hindukusch?), gehört zu der Mär, die sich Pazifisten und Nichtregierungsorganisationen, wohlmeinende Journalisten und um Tatsachen herumeiernde Politiker gemeinhin machen.

Der Krieg ist notwendig

Anders als die drückebergerischen, aber stets, wenn es andere zu belehren gilt, vorlauten Deutschen, duckt sich der von ihnen so bewunderte Barack Obama nicht weg. Als er vor einigen Wochen vor Veteranen in Phoenix (Arizona) auftrat, hat er, auch wenn eine Mehrheit der Amerikaner den Krieg in Afghanistan mittlerweile ablehnen, ihn „als notwendig“ bezeichnet). Der Konflikt am Hindukusch lasse ihm keine andere Wahl. Schon vor Monaten hatte er sich, wie vor seiner Wahl angekündigt, entschlossen, zusätzliche Truppen und Militärberater in Höhe von 21.000 Mann in das Land zu schicken und damit das US-Kontingent auf mittlerweile bald 68.000 Mann aufzustocken (Nur zum Vergleich: Die anderen NATO-Verbündeten haben dort gerade mal 30 000 Mann im Dienst).

In der Tat hat sich die Supermacht mit dem Kampf am Hindukusch aber militärisch wie strategisch in eine vertrackte Situation hineinmanövriert. Vor allem, weil die Taliban sich als äußerst zäh, ausdauernd und geduldig im Kampf gezeigt haben, dabei immer neue Nachschubwege und Ressourcen entdecken und das pakistanische Umland – wenn auch derzeit eingeschränkter - als Rückzugsgebiet nutzen können. Zögen sich die US-Truppen zurück, könnte sich nicht nur Somalia wiederholen. Die vom Westen installierte und inzwischen auch gewählte Regierung Karsai wäre den Taliban und anderen Terrorgruppen hilflos ausgeliefert, was durch die benachbarte Atommacht Pakistan, das wegen seines islamistischen Background alles andere als ein sicherer Kantonist in Sachen Proliferation ist, nochmals verkompliziert würde. Die Jihadisten könnten sich danach rühmen, den größten Sieg seit dem Rückzug der Roten Armee aus dem Land errungen und den Amerikanern die größte Niederlage seit dem Ende des Vietnamkrieges zugefügt zu haben.

Der Krieg ist Obamas Wahl

Auch wenn ein solches unrühmliches Ende für die USA einen weiteren tiefen Prestigeverlust bedeuten würde, muss die Frage erlaubt sein, ob dieser Krieg Obama wirklich keine andere Wahl lässt. „Notwendig“ ist ein Krieg immer nur dann, wenn ein Land von einem anderen angegriffen und/oder es in seiner Existenz bedroht wird. Wäre dies am Hindukusch tatsächlich der Fall, dann müsste Obama alle militärischen Mittel, Ressourcen und Anstrengungen ergreifen, damit die USA den Sieg über den Feind erringt und die afghanische Regierung endlich die Kontrolle über das eigene Territorium bekommt. Beispielsweise müsste er weit mehr als die bislang stationierten Mann dorthin verlegen, wie Max Boot jüngst im „Wall Street Journal“ ( How to Win in Afghanistan) angeregt und auch von den US-Truppen in Afghanistan längst verlangt hat. Mit Offshore-Praktiken, Luftschlägen, Drohnen und beweglichen Spezialeinheiten etwa, werde das aber, so Boot, nicht zu bewältigen sein.

Diese Notwendigkeit ist am Hindukusch aber mitnichten gegeben. Weder ist ausgemacht, dass eine massive Aufstockung der Truppen mehr erreichen wird als bislang, noch stehen dort die existentiellen Nöte der Amerikaner oder das Ende der Welt auf dem Spiel. Richard N. Haass, der Vorsteher des Council on Foreign Relations hat dies auch zu einem sinnigen Wortspiel verführt. Nein, erklärte er jüngst in einem Artikel für die New York Times ( In Afghanistan, the Choice Is Ours), der Krieg in Afghanistan ist nicht notwendig, er ist ein „Krieg der Wahl“, nämlich „Mr. Obamas Wahl“ und Krieg.

Abbitte leisten

Da man nur in den seltensten Fällen keine Wahl hat, ob Krieg oder Nicht-Krieg, macht es laut Robert Kagan ( The President and the 'Necessary War' Myth) auch wenig Sinn, Bushs „Irak-Krieg“ gegen Obamas „Afghanistan-Krieg“ auszuspielen und so zwischen guten und bösen, echten und falschen Konflikten zu unterscheiden. Sowohl den einen wie auch den anderen hätte man auch bleiben lassen können. Eine unbedingte Notwendigkeit dazu bestand jedenfalls nicht.

Aus dem Mund des einstigen Neocon und mittlerweile zum politischen Realisten gereiften Politstrategen klang das schon mal ganz anders. Ging es nicht Post-Nine-Eleven vor allem darum, eine existentielle Bedrohung der Supermacht durch Al-Qaida abzuwenden und so das Ende der Welt zu verhindern?

Davon möchte der gefragte Kolumnist der Washington Post aber offenbar nichts mehr wissen. Der tiefere Grund, warum Obama den Krieg am Hindukusch mit dem Siegel der „Notwendigkeit“ überzieht, ist in seinen Augen ein moralischer. Die neue Administration möchte sich bei den Verbündeten für die begangenen Sünden der Bush-Regierung entschuldigen und auch keine weiteren mehr begehen. Ist der Krieg aber erstmal als „notwendig“ eingestuft, braucht man sich weder dafür zu schämen noch muss man hinterher für mögliche Opfer und Verfehlungen rechtfertigen, die möglicherweise in seinem Namen begangen worden sind.

Diese Haltung, meint Kagan, ist aber eine krasse Fehleinschätzung. Nur weil die USA etwas für „notwendig“, „richtig“ oder gar „gerecht“ erklären, bedeutet das im Umkehrschluss noch lange nicht, dass auch die übrige Welt diese Einstellung der Amerikaner teilt. Niemand, auch keiner der Verbündeten, wird weder die US-Regierung noch den Präsidenten Obama künftig von ihren Verantwortlichkeiten freisprechen. Die moralische Macht und Autorität, die die Supermacht einmal besaß, sind futsch. Sie sind im Zweistromland beerdigt worden.