Starrichter auf der Anklagebank

Der umstrittene spanische Ermittlungsrichter Baltasar Garzón muss auf der Anklagebank Platz nehmen, weil er Verbrechen der Falange untersuchen wollte

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Der Oberste Gerichtshof in Spanien hat den Weg frei gemacht, um den bekanntesten Richter auf die Anklagebank zu setzen. Durch die Welt geht ein Aufschrei. Die New York Times protestierte mit einem Editorial gegen die Kriminalisierung von Baltasar Garzón und auch der Guardian kritisiert das Vorgehen hart. Nachdem Richter Luciano Varela den Einspruch Garzóns ablehnte, steht nun dessen Suspendierung an.

Der muss sich wegen Amtsmissbrauch vor Gericht verantworten und das könnte ihm ein Berufsverbot von bis zu 20 Jahren einbringen, das Ende seiner Karriere. Dass er angeklagt wird, weil er etwas Licht auf die Verbrechen der Franco-Diktatur werfen wollte, macht deutlich, wie schwer man sich in Spanien mit der Aufarbeitung des Putschs von 1936 und der Diktatur tut, die das Land 40 Jahre tödlich im Griff hatte.

Es sagt viel aus, dass die Opfer bis heute nicht geborgen und rehabilitiert wurden und die "Falange de las Jons", also die Partei des Diktators, Garzón nun vor Gericht zerren kann, weil er unter anderem versuchte, Massengräber öffnen zu lassen. Darin sind auch 35 Jahre nach dem Tod des Diktators, noch zehntausende Linke oder Republikaner verscharrt, die von der Falange oder der Guardia Civil aus den Häusern gezerrt und ermordet wurden.

[em]Spanische Realitäten[/em]

Die New York Times spricht von der "Ungerechtigkeit in Spanien". Sie schreibt, dass die wirklichen Verbrechen die Ermordungen, das Verschwindenlassen von zahllosen Personen sind und nicht die Ermittlungen von Garzón. Dessen Anwalt fragte, wie wohl damit umgegangen würde, wenn eine "Klage einer neonazistischen Partei in Deutschland gegen einen Richter angenommen würde, weil der versuchte, die Naziverbrechen zu ermitteln". Für Gonzalo Martínez Fresneda ist es "schockierend".

Die alten Garden der Diktatur können ungestraft ihr Unwesen treiben. Das hat auch damit zu tun, dass selbst die sozialistische Regierung an einer Aufarbeitung der Diktatur kein wirkliches Interesse hat, obwohl etwa der Großvater von Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero unter ihren Opfern ist. Zwar ist der Einwand der New York Times richtig, dass Verbrechen gegen die Menschlichkeit niemals verjähren oder amnestiert werden können. In Spanien hilft das nichts, wenn die politische Klasse keinen Willen hat, die Verbrechen wenigstens aufzuhellen.

Aus dem "Gesetz zur Wiederherstellung der historischen Erinnerung" wurde aufgrund des Widerstands der postfaschistischen Volkspartei (PP), die sich nie vom Putsch 1936 und der Diktatur distanzierte, ein verwässertes "Gesetz zur Anerkennung und Ausweitung der Rechte der Opfer des Bürgerkriegs und der Diktatur", das nicht einmal Unrechtsurteile von Schnellgerichten aufhebt.

Garzón hatte keine juristische Handhabe, als das Ministerium für Staatsanwaltschaft seinem zaghaften Versuch eine Abfuhr erteilte. Auch der Generalstaatsanwalt führt das Amnestiegesetz von 1977 an, dass sich die Anhänger der Diktatur im Übergang großzügig gewährten. Als Garzóns Kompetenz juristisch in der Frage gestellt wurde, beging er die Dummheit, sich selber für kompetent zu erklären, anstatt die Entscheidung dem entsprechenden Gremium zu überlassen. Damit lief er in das Messer, mit dem ihm die spanische Rechte jetzt den Garaus macht.

[em]Garzon ist ebenfalls Ausdruck der politisierten spanischen Justiz[/em]

Dass es zu einer Anklage gegen ihn kommt, liegt daran, dass er sich mit der PP angelegt hat und gegen korrupte Mitglieder, bis in die Parteiführung ermittelte. Angeschuldigt wird zum Beispiel auch der Ex-Schatzmeister. So hat die PP zwei Gründe, den Richter abzuservieren, der ihr viele Jahre im Feldzug die baskische Linke zu Diensten war. Die PP hat auch kein Interesse daran, dass über die Verstrickung ihrer Führer in die Diktatur diskutiert wird. Ihr Gründer, Manuel Fraga Iribarne, ist Ehrenmitglied der Partei und war unter Franco Minister. Einige militante Mitglieder der Falange sind zudem auch Mitglieder der PP. Sie hat in acht Regierungsjahren die Justiz bis an die Spitze des Verfassungsgerichts mit Anhängern besetzt und nutzt diese nach Gutdünken.

Garzón hatte es der PP leicht gemacht. So erklärte der Oberste Gerichtshof es kürzlich (logischerweise) für illegal, dass Garzón die Verteidigergespräche von inhaftierten PP-Mitgliedern im Korruptionsskandal "Gürtel" abhören ließ. Was ihm im Rahmen des Anti-Terrorgesetzes niemand ankreidet, wurde ihm hierbei zum Stolperstein. Weil er das eigenmächtige Vorgehen nicht genehmigen ließ, können Hinweise auf eine illegale Parteienfinanzierung nicht benutzt werden. Auch dafür läuft ein Verfahren. Wie im Fall obskurer Gelder, die Garzón erhalten haben soll, muss er sich wohl auch dafür demnächst vor Gericht verantworten.

Man kann die Aussage des Guardian nur bestätigen, der von einer "hoch politisierten Justiz" spricht. Doch Garzón und der Nationale Gerichtshof, an dem er wirkt, ist der klarste Ausdruck davon. Er ist leider auch kein "eindrucksvoller Ermittler". Seine Anklagen entbehren oft jeglicher Substanz und basieren nicht selten auf Geständnissen, die, so beklagen Menschenrechtsorganisationen, unter Folter erzwungen wurden.

Man hätte längst Gründe gehabt, den Richter zu suspendieren. Zum Beispiel weil er eine Zeitung und ein Radio "vorläufig" schließen ließ und jahrelang für einen derartig drastischen Vorgang keine Anklage zustande brachte. Es ist nicht selten der Oberste Gerichtshof, der Urteile kassiert, die das Sondergericht auf Basis von Garzóns Anklagen gefällt hat. So stellte der Gerichthof nach elf Jahren fest, dass Garzón keine Beweise dafür hatte, dass die Zeitung und das Radio zur Untergrundorganisation ETA gehören.

Eines hat Garzón aber erreicht, nämlich dass nun international über das spanische Justizwesen und die Diktatur geredet wird. So wie er einst den chilenischen Diktator Pinochet in London festsetzen ließ, könnte es bald einen internationalen Haftbefehl gegen den PP-Gründer Fraga oder andere aus Argentinien geben. Zwar hat Spanien die universelle Gerichtsbarkeit nun abgeschafft, um derlei zu vermeiden, aber in Argentinien wird nun auf dieser Basis an Anklagen gearbeitet, um auch spanische amnestierte Verbrecher auf die Anklagebank zu setzen.