Firma spioniert mit "stillen SMS"

Ein privater Anbieter versendet heimliche "Ortungsimpulse" für die niedersächsische Polizei. Die Software ist so programmiert, dass Abgeordnete ihr Auskunftsrecht nicht wahrnehmen können

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Die niedersächsische Polizei spioniert Besitzer von Mobiltelefonen mithilfe einer privaten Firma aus: Zum Versenden von sogenannten "stillen SMS" wird der Server "eines privaten Anbieters von Telekommunikationsdienstleistungen" genutzt. Dies geht aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage der niedersächsischen Linksfraktion hervor, die Telepolis vorliegt. Das Versenden der "Ortungsimpulse" über eine Firma hatte die Landesregierung in einer früheren Kleinen Anfrage der Linksfraktion sowie der Grünen noch verheimlicht.

Mit den für den Nutzer unsichtbaren heimlichen Mitteilungen wird die ungefähre Position des Telefons bestimmt. Telekommunikationsanbieter sind nicht verpflichtet, Standortdaten zu speichern. Mit dem Trick des Versendens von "stillen SMS" umgehen Bundes- und Landesbehörden den Schutz der Privatsphäre: Die "Ortungsimpulse" simulieren eine Verbindung, deren Daten derzeit bis zu 70 Tagen aufgehoben werden. Diese können dann mittels eines richterlichen Beschlusses abgefragt werden.

Firma fürchtet jetzt virtuellen Protest

Die Spionage durch Polizei, Zoll und Dienste wird von Juristen und Datenschützern kritisiert: Telekommunikationsüberwachung darf eigentlich nur als "passive Tätigkeit" ausgeführt werden. Das Erzeugen eines Kommunikationsvorganges mittels "Stiller SMS" durch Zoll, Polizei oder Geheimdienste ist aber eine aktive Maßnahme. Zudem wird dadurch ein Bewegungs- und Persönlichkeitsprofils erzeugt, was einen erheblichen Grundrechtseingriff darstellt ( Telekommunikative Spurensuche im digitalen Heuhaufen).

Auch in Niedersachsen ist also eine private Stelle in einen grundrechtssensiblen Bereich der Telekommunikationsüberwachung eingebunden. Diese Praxis hatte der Bundesbeauftragte für den Datenschutz zuletzt für von Bundesbehörden genutzte Spionagesoftware untersucht. Peter Schaar fordert unter anderem, dass Personendaten "vertraulich, zuverlässig und unversehrt" übertragen werden. Hierfür müssen etwaige Mitarbeiter privater Firmen eine Geheimschutzüberprüfung absolvieren. Auch entsprechende Kommunikationswege zwischen Behörden und Privaten müssen für die Übermittlung sensibler Daten Anforderungen an den Datenschutz erfüllen. Das Land Niedersachsen hat hierzu bislang nichts mitgeteilt.

Der private Spionagedienstleister ist ansonsten scheinbar im regulären Geschäft mit Telekommunikationsdienstleistungen tätig. Er bittet jetzt darum, seinen Namen nicht in der Öffentlichkeit zu nennen. Ansonsten müsse er laut Landesregierung "mit erheblichen Nachteilen für seine Geschäftstätigkeit" rechnen. Befürchtet werden auch virtuelle Proteste: Der Anbieter müsse "gegebenenfalls auch mit Angriffen auf seine Systeme rechnen, wenn bekannt wird, dass er auch im Bereich der verdeckten polizeilichen Maßnahmen Dienstleistungen erbringt".

Software protokolliert die Spionage nicht

Die genutzte Software ist mangelhaft programmiert, wie die Landesregierung den Abgeordneten jetzt bestätigt. Es sei "zurzeit" nicht möglich, Auskunft über die Anzahl versendeter Mitteilungen zu geben. Hierzu sei erst "eine Veränderung und neue Programmierung der bisher genutzten Software des Leistungsanbieters erforderlich". Dies würde aber weitere "Kosten in Höhe von etwa 80.000 € verursachen". Damit die Abgeordneten dennoch ihre Kontrollbefugnis ausüben können, müssten Ermittlungsakten händisch ausgewertet werden. Die Polizei in Niedersachsen lehnt das ab.

Auch andere Landeskriminalämter lagern ihre Spionageaufträge aus. So ist etwa aus Hamburg bekannt, dass "stille SMS" über Software des "Landesamts für Zentrale Polizeiliche Dienste" (LZPD) in Nordrhein-Westfalen versandt werden. Immerhin kann das LZPD die Parlamentarier in Hamburg mit statistischen Daten versandter "Ortungsimpulse" versorgen. Problematisch ist diese Praxis dennoch: Eine entsprechende Kleine Anfrage der Hamburger Linksfraktion konnte erst beantwortet werden, als die notwendigen Daten aus Nordrhein-Westfalen beschafft waren.

Mittlerweile verdichten sich Hinweise, dass auch Bundesbehörden die Dienste des Landeskriminalamts Nordrhein-Westfalen in Anspruch nehmen. Die dortige LZPD mausert sich scheinbar zum bundesweiten Überwachungsdienstleister und treibt sich hierfür auf weltweiten Verkaufsmessen für Überwachungstechnologie herum ( Werkzeuge für den digitalen Tsunami).

Betroffene können aus Unwissenheit nicht klagen

Nicht immer werden die Fragen der Parlamentarier nach der Häufigkeit "stiller SMS" beantwortet. Der neue Berliner Innensenator eiert beispielsweise herum und will Zahlen für sich behalten. Offenkundig wird demgegenüber in Hamburg wie auch in Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Sachsen-Anhalt, dass der Einsatz der Spionagemaßnahme stetig wächst.

Aus der nun vorliegenden Antwort geht hervor, dass die Telekommunikationsüberwachung vor allem zum Aufspüren des Handels mit "Betäubungsmitteln" genutzt wird. Aber auch zur Kontrolle unerwünschter Migration wird derart digital spioniert. Demgegenüber hatte die Landesregierung zuvor behauptet, die "Funkzellenauswertung" und das Versenden von "stillen SMS" nur zur Aufklärung von "Straftaten von erheblicher Bedeutung" vorzunehmen.

Betroffene einer Telekommunikationsüberwachung sollen nachträglich davon unterrichtet werden. "Stille SMS" werden aber in entsprechenden Mitteilungen – sofern diese überhaupt versendet werden - nicht erwähnt. Dies mag erklären, wieso noch niemand gegen diesen fragwürdigen Grundrechtseingriff klagen konnte.