Zwei Blicke zurück, einer nach vorn

Fantasy-Filmfest 2010: Wenig Probleme mit der Darstellung von Misogynie und Gewalt gegen Frauen

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Auch der zweite Tag des Festivals beginnt gemächlich: Die Planer haben nur einen Slot gefüllt und daher liefen nur fünf Filme, von denen drei vorgestellt werden sollen. "The Killer inside me" von Michael Winterbottom hatte bereits im Februar auf der Berlinale seine Premiere gefeiert. Der in die US-amerikanischen 1950er-Jahre verlegte Filmplot erzählt die Geschichte eines US-Marshalls, der - weil er als Kind von seiner Mutter zu sadomasochistischen Peitschenspielchen missbraucht wurde - ein etwas angespanntes Verhältnis zur Sexualität entwickelt hat.

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The Killer Inside Me. Bild: IFC Films

Dies drückt sich unter anderem darin aus, dass er mit unbotmäßiger Gewalt gegen Frauen vorgeht und zusätzlich recht psychopathische Verhaltensweisen an den Tag legt. Während er nämlich verheiratet ist (und die Schwangerschaft seiner Frau auf recht unsanfte Weise beendet), unterhält er gleichzeitig eine Beziehung zu einer ortsansässigen Prostituierten (gespielt von Jessica Alba), die er auf Geheiß eines ortsansässigen Magnaten eigentlich des Ortes verweisen soll. Um einen Konkurrenten aus dem Weg zu räumen und sich der nun unliebsam gewordenen Geliebten zu entledigen, richtet er ein regelrechtes Blutbad an.

Winterbottoms Serienmörderfilm hatte das Berlinale-Publikum hinreichend verschreckt, so dass damals etliche Zuschauer die Vorführung verließen, als der Täter begonnen hatte minutenlang auf das Gesicht Jessica Albas einzuschlagen. Auf dem Fantasy-Filmfest ist der Film besser aufgehoben, zumal man hier - wie sich im nachfolgenden Film zeigt, als es bei der Rache-Tötung einer Frau zu Szenenapplaus gekommen ist - mit Misogynie und Gewalt gegen Frauen offenbar weniger Probleme hat.

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The Killer Inside Me. Bild: IFC Films

Dass "The Killer inside me" darüber hinaus ein interessantes Retro-Seznario im Baudrillard‘schen Sinne entfaltet und Serienmörderfilm-Diskurse der Gegenwart (wie etwa die Indifferenz zwischen Täter und Ermittler) in die 50er verlagert, sollte darüber hinaus nicht unerwähnt bleiben. Letztlich gehört Winterbottoms Film zu den besseren Werken des Regisseurs und - trotz seines Sujets - zu den Filmen, die man weniger auf dem Fantasy-Filmfest erwarten würde. Dieses Schicksal teilt sich das Festival dann doch mit der Berlinale.

Fehlende Stirnfransen

Fantasy-Filmfest-Dauergast Neil Marshall hat mit "Centurion" ebenfalls einen neuen Film im Programm. Nach seinem reichlich abgeschmackten Postapo-Epos "Doomsday" aus dem vorletzten Jahr und dem dafür umso überraschenderen feminist cave horror "The Descent" von 2005 besinnt sich der Regisseur jetzt auf die Reinszenierung von Historie: Die Invasion der römischen Legionäre in Britannien ist das Thema "Centurions". Der Film greift die Geschichte eines Legionärs heraus, der als einziger den Hinterhalt der eines Angriffs englischer "Barbaren" überlebt und auf eine andere Truppe Römer trifft, sich diesen anschließt, von der selben Horde aber noch einmal überfallen wird. Jetzt sind es nur noch eine handvoll Legionäre, die die Flucht zurück antreten, dabei jedoch von einer Meute gehetzt werden, bis kaum noch ein Römer übrig ist.

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Centurion. Bild: Magnolia Films

"Centurion" hat gleich mehrere sehr interessante Probleme. Zum einen stellt er zwei Gruppen einander gegenüber, die beide Kriegsleid erfahren haben und von denen damit keine die moralische Gunst des Zuschauers für sich allein beanspruchen kann: Eine junge Engländerin hat miterlebt, wie Legionäre ihre Eltern ermordet und sie vergewaltigt haben und sinnt nun nach Rache; ihr Vorgehen ist gleichermaßen brutal wie "verständlich". Unser römischer Held beweist eine Menge Mitleid und Feingefühl - wird aber ebenso zum Ziel brutaler Attacken der Engländer.

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Centurion. Bild: Magnolia Films

Vor dem historischen Hintergrund all dieser Schlächtereien kommt noch hinzu, dass man die römische Invasion auf Resteuropa ja eigentlich kaum moralisch verdammen kann - ohne sie würde dieser Text vielleicht sonst in irgend einer Keilschrift erscheinen. Interessant ist übrigens auch, dass die Film-Römer "natürlich" Englisch sprechen, während die Briten selbst eine andere Sprache (Schottisch-Gälisch?) reden, was anfänglich zu seltsamen Verwirrungen beim Zuschauer führt. Dass wir es am Schluss mit einem "reflexiven Kolonialisierungsprozess" zu tun haben, zeigt sich auch darin, dass die überlebenden Römer für ihre Landsleute nicht mehr als solche erkennbar sind. Und da ihnen auch die ikonografischen "Stirnfransen" (Claude Levi-Strauss) fehlen, begegnen ihre Landsleute ihnen mit übersteigertem Misstrauen (sprich: Pfeilen).

Ahh, Monster!

Gereth Edwards Film "Monsters" hat kein leichtes Schicksal: Im Schatten von "District 9" erscheint sein Film, der von einer Außerirdischen-Enklave in Mexiko erzählt: Dort haben sich aus dem Weltraum mitgebrachte Sporen zu riesigen Land-Kraken entwickelt, die sich munter vermehren und von den US-Amerikanern im Norden Mexikos in einer "infected zone" eingezäunt wurden. Zwei US-Bürger, ein Journalist und die Tochter seines Chefredakteurs, müssen nun aus Mexiko in die USA zurück, die Fährverbindungen sind jedoch durch eine Verkettung von Missgeschicken unerreichbar und fliegen über die Zone hat schon zu manchem Alien-induzierten Absturz geführt. Also schlagen sie sich mit dem Auto und schließlich zu Fuß durch das Alien-Gebiet.

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Monsters. Bild: Capelight

Die US-amerikanischen-mexikanischen Grenzzäune standen überdeutlich Pate für Edwards Film, der daher in seiner politischen Parabelhaftigkeit "District 9" kaum in etwas nachsteht. Leider konzentriert sich "Monsters" aber allzu sehr auf die Beziehungsgeschichte seiner menschlichen Protagonisten, so dass die CGI-Kraken nur gelegentlich - und dann auch oft nur in Teilen (wie in "Cloverfield") ins Bild geraten.

In einem "Questions and Answers" im Anschluss an die Berliner Vorführung erzählte der Regisseur von den zahlreichen Einflüssen für seinen Film (angefangen von Tarkowskis "Stalker" bis hin zur überraschenden Begegnung mit "District 9") und dass er versucht habe, seinen Film fast ausschließlich mit Laien-Darstellern zu drehen.

Das lässt "Monsters" überaus authentisch wirken; aufgrund seiner zurückhaltenden Inszenierung und der "Ungnade der späten Geburt" wird er wohl aber leider im Schatten von "District 9" verweilen.