Empörte bereiten Generalstreik in Spanien vor

Hunderttausende haben auf Demonstrationen am Wochenende gezeigt, dass die Bewegung deutlich an Breite und Tiefe gewonnnen hat

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Nachdem am Sonntag Hunderttausende im spanischen Staat friedlich demonstriert haben, zeigt sich eines deutlich: Das Auflösen der Protestlager hat nicht zur Auflösung der Bewegung geführt. Tatsächlich haben die Demonstrationen in mehr als 50 Städten das Gegenteil gezeigt. Die Bewegung ist breiter, politischer und stärker geworden. Alle gesellschaftlichen Gruppen und alle Altersgruppen haben sich nun an ihren Protesten beteiligt.

Als die Demokratiebewegung am 15. Mai überraschend startete, um vor den Regional- und Kommunalwahlen gegen die "Zweiparteiendiktatur" der beiden großen Parteien zu protestieren, zeigten Zehntausende in mehr als 50 Städten ihre Ablehnung dagegen, dass die Krise der einfachen Bevölkerung aufgelastet wird. Allein in der katalanischen Metropole Barcelona dürften am Sonntag fast so viele Menschen wie vor fünf Wochen im ganzen Land demonstriert haben.

Die Schätzungen gehen zwar auseinander, aber sogar die Polizei geht von 75.000 Demonstranten in Barcelona aus, während man anderswo von bis zu 260.000 Menschen sprechen. Damit hat sich Barcelona nun zweifelsfrei zur Hauptstadt der "Indignados" ( Empörten) entwickelt. Mit dem fröhlichen und friedlichen Protest hat sich Barcelona auch von den gewaltsamen Übergriffen auf katalanische Parlamentarier in der letzten Woche distanziert, für die Provokateure der Polizei verantwortlich gemacht werden. Vermutet wird, dass damit versucht wurde, die Bewegung in Misskredit zu bringen. Der Versuch ist gescheitert, wie schon zuvor die massive Provokation, als versucht wurde, mit brutaler Gewalt das Protestcamp auf dem zentralen Platz der Stadt zu räumen. Statt auf die Provokationen einzugehen, wurde stets am Konzept eines aktiven und gewaltfreien Protests festgehalten.

Neben Barcelona stach auch die Mobilisierung in der spanischen Hauptstadt Madrid hervor. Sechs Protestmärsche bewegten sich in einem Sternmarsch aus den Stadtteilen zum zentralen Neptun-Platz, wo sich nach der unabhängigen Zählung der Spezialfirma Lynce etwa 42.000 Menschen versammelt haben, während die Veranstalter von 150.000 [http://www.publico.es/espana/382837/el-movimiento-15-m-se-hace-mas-grandesprechen]. Nach Angaben von Lynce war die Demonstration aber noch größer als die Gewerkschaftsdemonstration 2009 gegen Einschnitte ins Sozialsystem. Es waren nach Lynce mehr am Sonntag mehr als doppelt so viele Menschen, wie beim Generalstreik im vergangenen September in Madrid auf der Straße.

Eine steigende Beteiligung an den Protesten lässt sich auch den anderen Regionen des Landes vermelden. Im Baskenland, wo sich die Beteiligung am 15. Mai in sehr engen Grenzen hielt, waren am Sonntag ebenfalls Tausende auf der Straße, allein in Bilbao etwa 8000.

Mit den Demonstrationen sollte allen Parteien vor den entscheidenden Abstimmungen in dieser Woche klargemacht werden, dass die tiefen Einschnitte ins Sozialsystem auf immer stärkeren Widerstand treffen. In der Woche soll nicht nur über ein neues Tarifrecht abgestimmt werden, sondern auch das Dekret über die Anhebung des Renteneintrittsalters bestätigt werden, das die beiden großen Gewerkschaften abgenickt haben. Denen weht wegen ihrer Politik ein immer kälterer Wind entgegen. Denn die schon zuvor für die Unternehmen durchgepeitschten harten Einschnitte, wie die praktische Abschaffung des Kündigungsschutzes, haben nichts an der hohen Arbeitslosigkeit geändert. So ist nun fast jeder zweite junge Mensch in Spanien arbeitslos.

Die Empörten setzen nun als Perspektive einen Generalstreik auf die Tagesordnung, "der das Land stilllegen wird." Sie wollen sich damit dagegen wenden, dass die Kosten für Krise der einfachen Bevölkerung aufgebürdet würden, während man die Verursacher des Desasters, die Banken, mit Milliarden stütze. In einem Kommunique wurde auf der Abschlusskundgebung in Madrid nahe des Parlaments angekündigt, "dass die Kommissionen der Arbeiter und der Stadtteile schon damit begonnen haben, einen Generalstreik vorzubereiten, der einen gesellschaftlichen Wandel ermöglichen wird", der von der Bewegung angemahnt wird. In einer Nachricht "an die Mächtigen" wurde es abgelehnt, dass Löhne und Renten beschnitten werden. Gemeint ist dabei die Erhöhung des Rentenalters, das Einfrieren der Renten und zudem die Abkopplung der Lohnentwicklung von der Inflation, womit weiter fallende Reallöhne erwartet werden.

Andererseits soll begleitend ein Referendum organisiert werden, um die Bevölkerung im Land über diverse Reformen abstimmen zu lassen. Geplant ist, die Menschen am 15. Oktober an die Urnen zu rufen. Die vorgestellten fünf Fragen drehen sich um eine Wahlrechtsreform, um mehr Transparenz beim Einsatz der Ressourcen und um eine grundsätzliche Veränderung des ökonomischen Systems, das in den Dienst der Bevölkerung und nicht in den Dienst der Wirtschaft gestellt werden soll. Mit den Fragen wendet man sich auch gegen die Korruption und die Einflussnahme der Politik auf die Justiz, wie sie in Spanien ganz offensichtlich zu beobachten ist.