Keine Armutsbekämpfung in der EU

Die EU-Regierungschefs einigten sich nicht auf belastbare Ziele zur Bekämpfung der Armut und zur Steigerung des Bildungsniveaus

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"Es ist inakzeptabel", hatte der EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso gesagt, "dass zurzeit 80 Millionen Menschen unter dieser Armutsgrenze leben." Deshalb hatte Barroso vorgeschlagen, sich auf dem EU-Gipfel in der vergangenen Woche auf konkrete Zielvorgaben zur Armutsbekämpfung zu einigen. Mit der "Strategie 2020" wollte die Kommission innerhalb von 10 Jahren die Zahl der Armen um 25 %, also um 20 Millionen, verringern. Als arm gelten die in der EU jene, die weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens ihres Landes zur Verfügung haben.

Das ist ohnehin schon wenig ambitioniert und es sagt viel aus, dass sich die 27 Staats- und Regierungschefs sogar auf dieses Ziel nicht festlegen konnten. Stattdessen wurde eine blumig formulierte Aussage beschlossen: "Die soziale Eingliederung soll insbesondere durch die Verminderung der Armut gefördert werden", heißt es nun. Gefallen ist auch der Kompromissvorschlag, die Zahl der Schulabbrecher auf 10 % zu reduzieren und die der Hochschulabsolventen unter den 30- bis 34-Jährigen von 31 auf 40 % zu steigern. Abgenickt wurde, dass 3 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Forschung und Entwicklung ausgegeben werden sollen. Doch das hatte man schon in Lissabon vor 10 Jahren festgelegt und zehn Jahre später werden dafür nur 1,9 % des BIP ausgegeben.

Insbesondere war Deutschland gegen konkrete Zielvorgaben in der Bildungspolitik und der Armutsbekämpfung. Wie in der Frage des Rettungsplans für Griechenland setzte sich Angela Merkel durch. Die fünf Kernziele des Programms seien "von sehr unterschiedlicher Qualität", sagte die Bundeskanzlerin. Im Bereich Bildung seien weitere Beratungen nötig, für die Messung der Armut müssten zudem geeignete Indikatoren ausgearbeitet werden. Mit Merkel setzen auch andere Länder auf eine Armutsbekämpfung, die an einer Wirtschaftspolitik geknüpft ist und sich an Wachstum und Beschäftigung orientiert. Konkret strebt die EU nun eine Beschäftigungsquote von 75 % unter den 20- bis 64-Jährigen an. "Die EU braucht eine neue, auf eine verstärkte Koordinierung der Wirtschaftspolitiken gestützte Strategie, um mehr Wachstum und Arbeitsplätze zu schaffen", heißt es im Beschluss.

Was man davon halten darf, zeigte die weitgehend gescheiterte Lissabon-Strategie. Mit der sollte aus der EU bis 2010 die "weltweit dynamischste, wissensbasierten Wirtschaft" gemacht werden und sogar die Vollbeschäftigung wurde angestrebt. Heute ist man von dem Ziel wohl noch weiter entfernt als vor zehn Jahren. Zudem ist unter dem Begriff "working poor" bekannt, dass die Erwerbsarmut steigt. Klar ist, dass Arbeit immer weniger vor Armut schützt. Man muss sich nur die Mindestlöhne in vielen Ländern anschauen. In Spanien liegt er bei 633 Euro monatlich. Die Armutsgrenze liegt aber bei über 850 Euro und an der Hürde scheiterten schon 2008 etwa 40 %, bei den Rentnern sogar mehr als die Hälfte. Die Rentensparpläne, die in der Krise überall aufgelegt werden, dürften das Problem aber eher weiter verschärfen. Auf die Frage der sozialen Eingliederung werde man während der Juni-Tagung zurückkommen, verlautete auf dem Gipfel.