Rajoy verschärft Sparkurs vor Rettungsantrag

In Spanien fressen steigende Zinskosten die erwarteten Einnahmen der Mehrwertsteuererhöhung komplett auf

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Mit dem neuen Haushaltsentwurf versucht die spanische Regierung, das Ruder herumzureißen. Der konservative Ministerpräsident Mariano Rajoy will Investoren davon überzeugen, dass das angeschlagene Land aus eigener Kraft ohne Rettungsantrag aus der Krise kommen kann. Dass mit den neuen Spareinschnitten dieses Ziel erreicht wird, glaubt aber praktisch niemand.

Die bisher vorliegenden Daten des Haushalts 2013 zeigen, dass Spanien nicht an einem über die Bankenrettung hinaus erweiterten Rettungsantrag vorbeikommen wird. Nur ein Posten steigt enorm. Die Kosten für Zinsen haben sich seit 2009 Posten verdoppelt. Schon 2012 war es mit 29 Milliarden Euro der zweitgrößte Haushaltsposten. Dafür wird mehr Geld ausgegeben, als für die Löhne und Gehälter im öffentlichen Dienst.

Während dort die Ausgaben durch Entlassungen sinken sollen, muss Rajoy für den Schuldendienst nun schon fast 39 Milliarden Euro ansetzen, weil die Schulden steigen und die Zinsen ein für das Land unbezahlbares Niveau erreicht haben. Das hat sich auch am Risikoaufschlag für Staatsanleihen gegenüber Bundesanleihen gezeigt. Der ursprüngliche Effekt, dass die Europäische Zentralbank "unbegrenzt" Staatsanleihen kaufen will, wenn Spanien einen Rettungsantrag stellt, ist weg. Der Spread stieg erneut auf über 450 Basispunkte, weil dieser Haushalt mehr Fragen aufwirft als Antworten gibt. Zehnjährige spanische Anleihen werden wieder über der Marke von 6% gehandelt.

Da das mit der Arbeitsmarktreform versprochene Jobwunder ausbleibt und die spanische Zentralbank von einer stärkeren Rezession spricht, als man sie bislang erwartet hat, wird die Arbeitslosigkeit weiter steigen. Verstärkt wird das dadurch, dass Ausgaben für Infrastrukturmaßnahmen erneut um fast 20% gekürzt werden. Dabei ist Spanien nach Einschätzung der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) mit mehr als 25% schon unrühmlicher "Weltmeister" der Arbeitslosigkeit. Die Ausgaben dafür steigen, obwohl die Leistungen schon gekürzt wurden. Gleichzeitig müssen Sozialkassen nun mit Milliarden gestützt werden, weil Beitragszahler wegbrechen.

Spiel mit Defizit, dasa ständig nach oben korrigiert werden muss

Mit einem Trick versucht Rajoy, vor den vorgezogenen Neuwahlen im Oktober im Baskenland und Galicien sowie im November in Katalonien, die Rentner für seine Volkspartei (PP) genehm zu stimmen. Er will die Renten 2013 um 1% erhöhen (Mehrausgabe von zwei Milliarden Euro), womit er sie faktisch kürzt. Nach den Gesetzen sind die Renten an die Inflation gebunden und die Geldentwertung liegt derzeit bei 3,5%.

Die Mehrausgaben führen dazu, dass der Haushalt einen Umfang von 127 Milliarden Euro hat. Das sind gut neun Prozent mehr als 2012. Trotz massiver Einschnitte – Kultur und Landwirtschaft um etwa 30% und Tourismus und Industrie etwa 20% – wird Spanien das Haushaltsdefizit nicht auf 4,5% senken. An die 6,3%, auf die Brüssel das Defizitziel ohnehin für 2012 schon zwei Mal nach oben korrigiert hat, glaubt nicht einmal die Regierung. Sie muss sogar das Defizit für 2011 zum vierten Mal nach oben korrigieren, berichtet die Zeitung El País.

Das Spiel mit dem Defizit erinnert zunehmend an das Spiel in Griechenland vor dem Abgang unter den Rettungsschirm. Statt wie geplant (6%) wurde insgesamt schon drei Mal inzwischen auf 8,9% nach oben korrigiert. Doch real seien es nun eher 10%, weil die Kosten für die ersten Banken, vor der Verstaatlichung der Großbank Bankia noch nirgends eingerechnet wurden. Und immer neue Finanzlöcher tauchen nicht nur in Bankbilanzen auf. Nach Valencia, Katalonien und Murcia haben auch Andalusien und Kastilien-La Mancha Rettungsmilliarden in Madrid beantragt. Damit sind die 18 Milliarden Euro praktisch erschöpft, die dafür vorgesehen waren, aber noch aufgetrieben werden müssen.

Dass die Steuereinnahmen wie erwartet sprudeln, bezweifeln sogar Parlamentarier der Regierungspartei. "Papier ist geduldig", zitieren Medien einen Parlamentarier von Rajoys Volkspartei, der nicht genannt werden wollte. Es ist bekannt, dass die erhöhte Einkommens- und Grundsteuer nicht die erwarteten Mehreinnahmen brachten. Beim Nachbar Portugal, wo ebenfalls die Mehrwertsteuer erhöht wurde war, gingen die Steuereinnahmen im ersten Halbjahr gegenüber dem Vorjahr sogar deutlich zurück. Hier wird ein ähnlicher Effekt erwartet, obwohl die Regierung darüber 10 Milliarden Euro Mehreinnahmen erwartet. Die würden allerdings komplett vom Schuldendienst aufgefressen, sollten sie tatsächlich eingenommen werden.

Dass die Löhne im öffentlichen Dienst gegen Tarifverträge eingefroren bleiben und weitere Entlassungen drohen, wird die Gewerkschaften auf die Barrikaden treiben, wie andere Kürzungen auch. Obwohl sich die großen spanischen Gewerkschaften dem massiven Generalstreik am Mittwoch im Baskenland nicht anschlossen. Sie drohen nun ihrerseits damit und schon heute wird erneut die Metro und der Busverkehr in der Hauptstadt bestreikt, um gegen die Lohnkürzungen und gegen den Bruch der Tarifverträge zu protestieren. Das Führungsmitglied der großen Arbeiterkommissionen (CCOO), Fernando Lezcano, will aber noch das Kleingedruckte des Entwurfs erfahren. Er spricht von einem "Rettungs-Haushalt", weil die üblichen Auflagen der EU-Kommission schon präventiv umgesetzt würden. Klar ist auch, dass sich mit diesem Haushalt die sozialen Widersprüche im Land noch deutlich verschärfen und damit auch die Proteste weiter radikalisieren werden.

Wegen aufbrechender Finanzlöcher und einem Haushalt, der auf tönernen Füßen steht, ist es für Experten nur noch die Frage, wann Spanien den Rettungsantrag stellt. Nur noch darüber könnte sich das Land etwas günstiger finanzieren, um die Ausgaben für den Schuldendienst zu senken, die sonst an wichtigen Bereichen zusätzlich eingespart werden müssen. Dass das nicht längst geschah, hielt dem Konservativen Rajoy kürzlich die konservative Financial Times als "parteipolitisches Kalkül" vor, das er über die Interessen des Landes stelle. Klar ist, dass auch Spanien längerfristig auf einen Schuldenschnitt zustrebt. Nach Griechenland ist ohnehin Portugal schon der nächste Kandidat und das wird auch für Irland nicht mehr ausgeschlossen.