Zivilisationskritik von Shell

Studie stellt zukünftige dezentrale regenerative Energieversorgung dem totalen Ordnungsstaat gegenüber

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Der Ölkonzern Shell hat seine Studie "New Lense Scenario" herausgebracht. Für das eigene bisherige Hauptgeschäftsmodell, die Ölförderung, sieht es demnach nicht so rosig aus, weil die Verfügbarkeit von Öl in spätestens 17 Jahren nur noch abnimmt. Interessant ist aber vor allem, dass die Autoren zwar der Kohle und dem Erdgas zunächst noch eine größere Rolle bei der Energieversorgung zutrauen, aber nur unter der Prämisse eines umfassend die Gesellschaft regulierenden Ordnungsstaates.

In diesem "Mountains" genannten Szenario erzwingen die Staaten die Entwicklung kompakter Städte, regulieren das weltweite Transportsystem und senken so den Energiebedarf für die Mobilität - und halten dadurch das fossile Zeitalter länger lebensfähig. Per Fracking werden alle erreichbaren Erdgasvorkommen ausgebeutet, wodurch Erdgas bis 2030 der wichtigste Energieträger würde. Gleichzeitig setzt der Staat die Kohlendioxidabscheidung und seine Verpressung in den Untergrund durch, um den Klimawandel zu entschleunigen (und die Gasförderung zu forcieren).

Angesichts der Tatsache, dass die Zersiedlung durch Städte, Verkehrswege und Infrastruktur täglich fortschreitet, dass die frohe Botschaft des Fracking zur Zeit wohl maßlos überschätzt wird und dass die CO2-Abscheidung im Kraftwerksmaßstab gerade erst im Promillebereich funktioniert, ist es also nicht wahrscheinlich, dass diese Vision von der "guten Energiediktatur" Realität wird.

Das "Oceans" genannte alternative Szenario geht von einer langfristig prosperierenden Weltwirtschaft aus, die allerdings dabei immer wieder Krisen durchmacht. Die Energieversorgung erfolgt dezentraler und die Entwicklung wird nicht von der Politik verordnet, sondern ergibt sich durch Regulation der Gesamtheit der Akteure und Faktoren. Auch in diesem Szenario bleiben die fossilen Energieträger noch lange wichtig, doch ab 2060 wird die Solarenergie zur weltweit wichtigsten Energiequelle und liefert dann nahezu 40 Prozent der weltweit produzierten Energie. Dabei geht die Shell-Studie bis 2020 allein für die Photovoltaik von einer global installierten Leistung von rund 500 Gigawatt (GW) aus, bis 2050 rechnet sie mit 20.000 GW.

Auch wenn man die Fokussierung auf PV und die Zubauzahlen bezweifelt, so ist doch eine Entwicklung, die vom Einfluss vieler Faktoren ausgeht, sehr viel wahrscheinlicher. Denn dass die Politik weder willens noch fähig ist, die "gute Energiediktatur" zur organisieren, zeigt sich u.a. im fortschreitenden Flächenverbrauch, dem steigen des Verkehrs und auch der bisherigen Energie- und Klimapolitik. Allerdings war die Prämisse der Shell-Szenarien, mögliche Entwicklungswege einer nachhaltigen Wirtschaftsweise zu beschreiben, nachhaltig dabei im Sinne von Fortführung unserer bisherigen Lebensweise. Es kann aber auch ganz anders kommen, nämlich dass die Energiequellen so schnell wie möglich ausgebeutet werden und danach die globale Energiearmut eintritt, weil versäumt wurde vorzusorgen und Alternativen ausgebremst wurden. Zivilisation würde dann auf einem vorindustriellen enttechnisiertem Niveau stattfinden.