Geschichten von Herzen und Aliens

Fantasy-Filmfest-Blog – 5. Tag: Festival-Q&A, "Tell Tale", "District 9" und "Trick 'r Treat"

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Anders als etwa die Berlinale, das Oberhausener Kurzfilmfestival oder das Filmfest München ist das Fantasy-Filmfest ein reines Publikumsfestival. Das heißt zu Einen, dass es dort keine Preisverleihung mit Jury, sondern lediglich einen Zuschauerpreis ("Fresh Blood Award") gibt, zum Anderen, dass sich das Festival einzig mit den Einnahmen der verkauften Eintrittskarten und Sponsorengeldern finanziert. Das hat, wie Festivalgründer Rainer Stefan in der "Q&A" am gestrigen Samstag Morgen betont hat, zahlreiche Effekte auf die PR des Festivals: etwa, dass die Katalogtexte eben vornehmlich werblicher Natur sein müssen oder dass es schwierig ist mit dem engen finanziellen Budget Gäste zum Festival einzuladen. Der Grund dafür ist, dass das Festival noch nie auf öffentliche Förderung zugreifen konnte – allein wegen der auf ihm gezeigten Filme, bei denen Horror und Gewaltdarstellungen nicht gerade selten sind. Dies sei auch der Grund, warum man sich zuletzt von der Unterzeile "Internationales Festival für Science Fiction, Horror und Thriller" verabschiedet hatte: Man wollte nicht auch noch die wenigen Sponsoren-Gelder gefährden. Der common sense in Deutschland, demnach Gewalt nur dann Kunst sein kann, wenn sie sich in den "high arts" ausdrückt, hat damit einmal mehr einen traurigen Beleg. In der Frage-und-Antwort-Sitzung, für die sich die Berliner Mitarbeiter viel Zeit genommen haben, auf Anregungen und Kritik der etwa 15 Anwesenden zu reagieren, wurde ansonsten viel über das Entstehen, Planungen, das Procedere der Filmauswahl und den zunehmenden Einfluss des Festivals auf den Filmmarkt gesprochen.

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Tell Tale

Im ersten Festival-Slot, der sich daran anschloss, wurde Michael Cuestas "Tell Tale" gezeigt – eine von Ridley und Tony Scott produzierte, recht freie Adaption von Edgar Allen Poes Kurzgeschichte "The Tell Tale Heart". Im Film hat ein herztransplantierter IT-Fachmann immer dann, wenn er Menschen begegnet, die etwas mit dem Spender seines neuen Organs zu tun haben, Herzrasen und sieht gewaltvolle Bilder vor seinem geistigen Auge aufblitzen. Bald schon stellt er fest, dass sein Herz von einem Verbrechensopfer stammt und ihn nun jedes Mal lautstark darauf hinweist, wenn er einem der (Mit-)Täter begegnet. Es beginnt eine Reihe von Morden an eben jenen Beteiligten, denen das Verbrechen nie nachgewiesen werden konnte. Unterstützt wird die Rache-Aktion von einem Polizisten, der die Spuren des Täters verwischt, ihn mit Waffen und Informationen versorgt – nicht ganz uneigennützig, wie sich herausstellt. "Tell Tale" lässt nicht viel von Poes Konzept übrig – das ist aber auch nicht unbedingt nötig. Er erzählt eine spannende und recht dicht gewobene Geschichte mit fantastischem Hintergrund, leidet jedoch zeitweilig unter allzu plötzlich herbeigeführten Wendungen der Erzählung oder Handlungsnebensträngen, die nicht zu Ende verfolgt werden – etwa über die Erbkrankheit der Tochter des Herztransplantierten. Unangenehme Folter- und Mord-Szenen gibt es überdies zu sehen, so dass der Film, obwohl er im Ganzen recht handzahm daherkommt, hierzulande wohl Schwierigkeiten bei einer Jugendfreigabe haben dürfte.

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District 9

"District 9" ist mit vielen Vorschusslorbeeren zum Fantasy-Filmfest gekommen, so dass er nach Aussage der Festivalleitung im Vorfeld gar nicht gesichtet werden musste, um als erfolgreiches Herzstück – als so genanntes "Special Screening - programmiert zu werden. Die Rechnung ist aufgegangen: Der große Saal des Berliner Cinemaxx war komplett ausgebucht. "District 9" verklausuliert eine Apartheits-Erzählung als Alinesaga: Auf der Erde gestrandete Außerirdische werden in der Nähe von Johannisburg in ein Township eingepfercht. Als sich nach 20 Jahren die xenophobischen Proteste der Stadtbevölkerung nicht mehr überhören lassen, beschließt die private Sicherheitsfirma, die sich bislang um die "alien affairs" gekümmert hat, die Umsiedlung in ein Kilometer weit entferntes Auffanglager. Bei der Umsiedlung kommt einer der Mitarbeiter mit einer Substanz in Kontakt, die ihn nach und nach in eines der Aliens verwandelt – das macht den Mann äußerst begehrt für verschiedene Parteien, denn durch die Verwandlung ist er in der Lage, die überlegene Waffentechnologie der Außerirdischen zu benutzen, die sich nur durch deren genetischen Fingerabdruck aktivieren lässt. Die Aliens indes beginnen mit ihrer Behandlung durch die Menschen zusehends unzufrieden zu werden und schmieden Reisepläne, für die ihnen der neue Mensch-Alien-Hybrid zunächst im Wege steht. "District 9" kommt zunächst als pseudodokumentarisches Patchwork von TV-, Überwachungskamera- und Interview-Szenen daher, kippt jedoch im dem Maße, wie er sich selbst zum Blockbuster-Kino bekennt, in die übliche Spielfilmästhetik. Das ist insofern schade, als gerade dadurch der kritische Impetus geschwächt wird: Die Analogien zur Situation zwischen Israel und Palästina sind nämlich unübersehbar – und müssten eigentlich gar nicht durch Konstrukte wie orientalische Einsprengsel im Soundtrack unterstützt werden. Schließlich bleibt "District 9" jedoch ein sehr spannender und in seiner Weise origineller neuer Science-Fiction-Film mit einem großen Vorbild: "Cloverfield."

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Trick 'r Treat

"Trick ‘r Treat" ist – könnte man sagen – ein ganz typischer Film des Fantasy-Filmfests. Dessen Grundzutaten – makaberer Humor, episodenhaftes Erzählen und derbe Splatter-Ästhetik – sind allesamt Garanten für Festival-Szenenapplaus. Ob "Trick ‘r Treat" nun jedoch wie angekündigt der "beste" Halloween-Film aller Zeiten ist, bleibt wohl eher eine Geschmacksfrage. Zu deutlich ähnelt Michael Doughertys Regie-Erstling Filmen wie "Creepshow" oder "Satan’s Little Helper". Originalität muss man jedoch von einem solchen Film vielleicht gar nicht verlangen; dazu beruft sich "Trick ‘r Treat" auch zu sehr auf die US-amerikanische Tradition des Halloween-Festes, an dem alle seine Episoden spielen. Verbunden sind sie durch mehrere durchlaufende Motive sowie ein kleines Monster, das wohl so etwas wie den "Geist von Halloween" darstellt und deshalb alle Protagonisten abstraft, die sich – etwa durch Zerstören oder auch nur zu frühes Ausblasen von Kürbis-Lampen – gegen diese Tradition stellen. Formal ist der Film originell komponiert und verlässt sich auch inhaltlich weder auf Zotigkeiten noch auf irgendwelche Zitate oder Anspielungen. Dafür liefert er in seinen Episoden einige handfeste Wendungen und Überraschungen, die jedoch dafür sorgen könnten, dass nach der ersten Sichtung die Luft raus ist. Einen "besten" Halloween-Film würde hingegen auszeichnen, dass er aufgrund seiner ästhetischen Tiefe alle Jahre wieder goutierbar ist.