Japan: Massenproteste gegen Atomkraft

Zehntausende demonstrieren auf der dritten Großdemo innerhalb weniger Wochen gegen die Wiederinbetriebnahme zweier Reaktoren

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In Tokio gab es am Montag eine der größten Anti-AKW-Demonstrationen in der Geschichte des Landes, wie japanische Zeitungen berichten. Nach unterschiedlichen Angaben gingen 75.000 bis 170.000 Menschen auf die Straße, um gegen die Wiederinbetriebnahme zweier Reaktoren des AKW Oi in der Präfektur Fukui nordwestlich von Kyoto und Osaka zu demonstrieren, die derzeit hochgefahren werden. Zuvor war Japan seit Anfang Mai ganz ohne Atomstrom gewesen, nach dem auch die letzten Reaktoren zur jährlichen Revision vom Netz genommen worden waren.

Die Demonstration war bereits der dritte Massenprotest innerhalb weniger Wochen, und es hat den Anschein, als formiere sich in Japan die größte außerparlamentarische Bewegung seit den 1960ern und 70ern, als das Land große Demonstrationen gegen die militärische Allianz mit den USA erlebte und unter anderem auch eine langanhaltende militante Konfrontation wegen des Baus eines Großflughafens bei Tokio. Die Washington Post spricht von einem neuen Bündnis zwischen dem eher linken Gewerkschaftsdachverbandes Zengoren und neuen Basisgruppen, die sich unter anderem über das Internet organisieren.

Die Demonstration wurde durch Auflagen der Polizei massiv behindert, die dem Verkehrsfluss nach den Informationen der US-amerikanischen Zeitung ein größeres Gewicht beimaß, als dem Recht der Bürger sich zu versammeln. So wurde für die Teilnehmer nur eine Fahrbahn freigegeben, auf der sie nur zu dritt nebeneinander her marschieren durften.

Unter den Demonstranten war auch der Träger des Literaturnobelpreises Kenzaburo Oe, der in dem Anfahren der beiden Reaktoren eine Beleidigung der Bürger durch die Regierung sieht. Mitorganisator, Autor und Journalist Sattoshi Kamata forderte auf der Auftaktkundgebung den sofortigen Ausstieg aus der Atomkraftnutzung.

Oe und andere bekannte Persönlichkeiten Japans wie der Musiker und Komponist Ryuichi Sakamoto haben eine Unterschriftenkampagne "Sayonara Atomkraft" gestartet, die bisher von 7,85 Millionen Menschen unterstützt wird. Das Ziel ist es, zehn Millionen Unterschriften zu sammeln.

Zu den Organisatoren der Demonstration am Montag gehörte auch Gensuikin, der Japanische Kongress gegen A- und H-Bomben. In Japan gibt es zwar aufgrund der eigene Erfahrung mit den Atombombenabwürfen in Hiroshima und Nagasaki eine starke Bewegung gegen Atomwaffen, doch wurde in der Öffentlichkeit bis zur multiplen Reaktorkatastrophe in Fukushima Daiichi keine Verbindung zur vermeintlich riedlichen Nutzung der Atomkraft gezogen. Die Beteiligung Gensuikins an derartigen Protesten ist also neu.