Gott ist nicht der Schöpfer aller Welt?

Eine renommierte niederländische Bibel-Exegetin übersetzt den ersten Satz der Genesis neu - zum Ärger von Kreationisten

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Es gab Seeungeheuer und das unendliche Meer und dann erst kam Gott und schied Himmel und Erde. Hat Gott seine absoluten universalen Urheberrechte verloren? War jemand anders vor ihm da, der die Seeungeheuer schuf?

Der Anfang der Bibel ist nicht der absolute Anfang der Zeit, sondern der Beginn einer Handlung - "begin van een handeling", argumentiert die niederländische Bibel-Exegetin Ellen van Wolde. Ihre These, die sie am Wochenende in ihrer Inaugurationsrede vor der Radboud Universiteit Nijmegen dargelegte, hat die Fenster zu den Stuben der Alttestamentler weit aufgestoßen und viel aufgewirbelt. Ob es nur alter Staub ist, wie Fachkollegen meinen, oder eine Revolution, eine "complete shake up of the story of the Creation as we know it", wie dies der Sprecher der Universität der britischen Zeitung Telegraph mitteilte, wird sich weisen.

Auf jeden Fall ist es großes Bibelkino, in dem Seeungeheuer aus dunklem Wasser luren, während Gott die Wasser von der Erde scheidet. Das Verb im ersten Satz, so die These der Wissenschaftlerin, wurde bislang falsch übersetzt. "bara", ברא , sei immer nur mit "Schaffen" übersetzt worden, ihre Textanalyse habe sie aber zu einem ganz anderen ersten Satz der Genesis geführt, in dem das hebräische Verb "bara" mit "Scheiden" übersetzt wird. Entsprechend müsste der erste Satz des 1. Buch Mose so übersetzt werden: "Am Anfang schied Gott Himmel und Erde".

Gott ist demnach nicht mehr der Schöpfer, der das gesamte Universum ex nihilo geschaffen hat. Dass diese Folgerung aus ihrer philologischen Arbeit ziemlich vor den Kopf stoßen kann, beweisen vor allem die Anhänger des Creative Design, die seit Tagen das Forum zum Telegraph-Artikels bestürmen und der Diskussionsthread "Creationists are going to throw a shit fit over this one" scheint ebenfalls Schwärme von Kreationisten anzuziehen.

Die bloggenden Kollegen aus der Fachwelt geben sich der neuen Schöpfungsgeschichte aus der Feder von Ellen van Wolde gegenüber distinguierter, belesener und äußerst distanziert. Anerkannt wird als erstes die bisherige akademische Laufbahn von van Wolde, die einmal auch mit Umberto Eco zusammengearbeitet hat. Ihre Qualifikation sei "top notch", kein Zweifel daran, hieß es am Wochenende. Und man müsse sich noch etwas gedulden, bis die Thesen genauer bekannt würden.

Bis dato demonstrierte man schon mal, weshalb die revolutionäre These aus Nijmegen ein aufgehypter alter Hut sein könnte: dass die scheidende/trennende Tätigkeit Gottes schon immer deutlich gemacht wurde und diese Neubewertung eben keinen entscheidenden Unterschied herstelle, dass Ausmaß, Art und Weise der "ex-nihilo-Schöpfung" schon seit der Antike diskutiert werden. Und schließlich versuchte man über Wortstammrecherche herauszufinden, aufgrund welcher Beugeform Ellen van Wolde eine Neuinterpretation des Verbs "bara" anstellt.

Die Textanalysen Ellen van Woldes verschieben die Perspektive. Das klingt beim Umgang mit früheren Interpretationen der Alttestamentlerin an, wo Leser hervorheben, dass sie die Erde in das Betrachtungszentrum stellt. Und das zeigt sich auch an ihren eigenen Äußerungen: "Ik heb de bijbel nooit letterlijk als Gods woord gelezen. (Ich habe die Bibel nie buchstäblich als Gottes Wort gelesen)."

Fundamentalisten gefällt das sicher nicht, um so weniger als van Woldes den biblischen Text als literarische Quelle begreift, "die nicht mit der Evolutionstheorie von Darwin mithalten kann, wo alles Leben von anderen Organismen kommt".