"Es werden keine Webseiten geschlossen"

Die spanische Regierung rudert angesichts des massiven Widerstands gegen ihre Zensurversuche zurück

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Da hatte die sozialistische Regierung doch versucht, in das Gesetz für ein "nachhaltiges Wirtschaften" einen Passus einzubauen, der die Schließung von Webseiten durch eine Behörde ermöglicht. Dabei ertappt, hatte sich ein massiver Widerstand innerhalb und außerhalb des Internets entwickelt, der im Parlament zu einer Ablehnungsfront von ganz links bis ganz rechts führte. Ob die Netizen die Computer verlassen und dem Aufruf folgen, heute um 20 Uhr vor dem Parlament zu protestieren, wird sich zeigen.

Schon gestern versuchte Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero dem neuen peinlichen Spektakel seiner Regierung ein Ende zu setzen. Plötzlich erklärte er: "Es lag der Regierung nichts ferner, als etwas im Internet zu schließen. Es wird nichts geschlossen, weder eine Webseite noch ein Blog. Die Meinungsfreiheit geht vor und wenn in dem Gesetzentwurf etwas geklärt werden muss, dann wird das geklärt.". Zu streichen wäre zum Beispiel der Passus, der mit der Kabinettssitzung am letzten Freitag heimlich in den bisherigen Gesetzesentwurf eingefügt worden war. Es wurde von einer "zuständige Behörde" gesprochen, die im Kulturministerium von Ángeles González-Sinde angesiedelt, "Kommission für geistiges Eigentum" heißen und berechtigt zur Zensur im Internet sein sollte.

Nun bleiben zwei Interpretationen: Entweder hat Zapatero seine Regierung noch weniger im Griff, als ohnehin bekannt ist, also jeder Minister in die Gesetzentwürfe das ohne Kontrolle reinschreiben kann, was ihm beliebt. Wahrscheinlicher ist aber, dass Zapatero genau wusste, was da beabsichtigt war und er es billigte. Schließlich hat er bis gestern gewartet, um sich zu erklären. Der Unmut brandet seit dem vergangenen Wochenende auf und diverse Medien haben ausgiebig berichtet. Sogar die Debatte am Mittwoch ließ er ungenutzt verstreichen und rudert erst jetzt angesichts des massiven Widerstands zurück. Ohnehin ist es nicht das erste Mal, dass seine Regierung es ermöglichen will, die richterliche Kontrolle über Zensur auszuhebeln.

Dabei ist das ohnehin unnötig. Es findet sich in Spanien immer ein Richter, auch wenn es um massive Eingriffe in Grundrechte geht. Dass auf Initiative seines Ministeriums für Staatsanwaltschaft eine Satirezeitschrift wegen "Ehrverletzung" des Königshauses durch den umstrittenen Ermittlungsrichter Juan del Olmo aus dem Verkehr gezogen wurde, müsste dem Linken und Republikaner, so gibt sich Zapatero, eigentlich die Schamesröte ins Gesicht treiben. Dass der den Telepolis-Lesern noch bekanntere Ermittlungsrichter Baltasar Garzón, ebenfalls am Sondergericht (Nationaler Gerichtshof) tätig. sogar unrechtsmäßig Kommunikationsmedien schließen darf, ohne dass dies Konsequenzen für ihn hätte, zeigt, dass einem einiges spanisch in Spanien vorkommen darf. Was sich eine Behörde, unter Umgehung der Justiz, alles erlaubt hätte, mag man sich nicht einmal vorstellen.

Die Tage der Kultusministerin sind jetzt gezählt, die Opposition hat schon ihren Rücktritt gefordert. Eigentlich müsste sie den Rücktritt Zapateros fordern, schließlich passierte der Passus eine Kabinettsitzung, auf der Zapatero als Regierungschef anwesend war. Aber sie wird den Kopf für dessen verfehlte Politik hinhalten müssen und auch das ist nicht neu. Berühmtes Opfer dieser Art zu regieren wurde der Ex-Wirtschaftsminister Pedro Solbes. Einst als Star vom Posten des EU Vizepräsidenten und Währungskommissars nach Madrid berufen, musste er den Kopf dafür hinhalten, monatelang die Daten der tief stürzenden spanischen Wirtschaft für Zapatero schönen zu dürfen.

So wird wohl auch die Kultusministerin nicht sofort entlassen, sondern in einer neuen Regierungsumbildung geopfert werden. Dabei kam González-Sinde erst mit der letzten Umbildung im März auf den Posten, mit der Solbes seinen Posten verlor. Dessen Nachfolgerin, Elena Salgado, sitzt wegen der schweren Wirtschaftskrise auf dem Schleudersitz. Sie wurde schon von der Financial Times zur viertschlechtesten Finanzministerin in Europa gekürt und wird den Kopf für den weiteren Abstieg hinhalten müssen. Spaniens Arbeitslosigkeit steigt und steigt und das Land lieg mit einer Quote von fast 20 % abgeschlagen auf dem letzten Rang in der EU, die Verschuldung explodiert. Das Nachhaltigkeitsgesetz und die Mehrwertsteueranhebung (http://www.heise.de/tp/blogs/8/145958) wird auch vielen Familien den Rest geben, die sich noch über Wasser halten können. Hunderttausende haben schon längst keinerlei Einkommen mehr.