"Der Diktator ist weg, nicht aber die Diktatur"

Ägypten: Wie viel Kritik lässt die Armee zu?

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Wieviel Meinungsfreiheit ist im neuen Ägypten, nach Mubarak, möglich? Die Frage wird unter anderem durch einen Prozess beantwortet, der derzeit gegen den Blogger Maikel Nabil Sanad angestrengt wird. Dessen scharfe Kritik an der Rolle des Militärs vor und nach dem Sturz Mubaraks, ausführlich, detailliert und mit vielen Belegen ausstaffiert, hat ihm eine Verhaftung und ein sehr kurzfristig anberaumtes Verfahren wegen Beleidigung der Armee, Verbreitung falscher Informationen und Störung der öffentlichen Sicherheit eingetragen.

Ziemlich "harter Stoff" sei es, den Maikel Nabil Sanad in seinem Blogbeitrag präsentiert, so The Arabist und der deutsche Ägypten-Experte Ronald Meinardus stimmt darin überein, dass es ein "bisschen sehr hart formuliert" ist, dass in Ägypten nach wie vor Dikatur herrsche. Der mehrere Seiten langen Abrechnung mit dem ägyptischen Militär liegen zwei Thesen zugrunde, einmal, dass zwar der Diktator entfernt sei, nicht aber die Diktatur und dass die Armee nicht auf Seiten der Bevölkerung steht, "nicht ein Mal während dieser Revolution", dass deren Verhalten die ganze Zeit über auf Täuschung ausgerichtet sei und nur dem eigenen Interesse diene.

Seine Vorwürfe untermauert der Blogger mit Zeitungsberichten, Videos und Augenzeugenberichten, die aus der Zeit vor und nach dem Sturz Mubaraks stammen. Es sind Berichte, die darauf hindeuten, dass die Armee die Polizei anfänglich noch mit scharfer Munition ausstattete, dass die "passive Neutralität" der Armee, die sie lange Zeit während der Demonstrationen am Tahrirplatz zeigte, bewusst zugunsten der Verteidiger des alten Regimes erfolgte und vor allem - mit zahlreichen Namen und Augenzeugenberichten unterlegt - die vielen Verhaftungen, ers spricht von geschätzten 10.000 Fällen, und Folterungen von Regimekritikern, Bloggern, Demonstrationsteilnehmern durch die Militärpolizei, eine Praxis, die auch nach dem Sturz Mubaraks weitergeführt wurde.

Maikel Nabil Sanad stellt heraus, was in der größeren Öffentlichkeit nach dem Abgang Mubaraks kaum mehr wahrgenommen wurde, die Repressionen gegen diejenigen, die weiter demonstrierten, das zum Teil gewaltsame Vorgehen gegen Demonstranten am Tahrirplatz, als dieser nicht mehr täglich auf den Bildschirmen weltweit zu sehen war. Der Blogger wirft der Armee darüberhinaus vor, dass sie wichtigste Teile des Mubarakschen Repressionsapparates, Geheimdienste, Institutionen der inneren Sicherheit wie SSI (State security investigations) und Ausnahmegesetze behalten habe, um die Revolution abzuwürgen, komplettiert würde die Repression durch eine Öffentlichkeitsarbeit, mit der man versuche, in Zusammenarbeit mit Medienverteter, die Dinge in möglichst freundlichem Licht zu schildern:

"The Armed Forces are still today upheld the emergency state and curfew without any acceptable reasons; they also uphold the existence of SSI (State security investigations), the central security. The interior minister in the caretaker government described the two devices (SSI, the central security) as patriot Institutions!"

Einer der giftigsten Vorwurf des Bloggers läuft darauf hinaus, dass die Armee absichtlich Konflikte zwischen Christen und Muslimen anheize, um daraus politisches Kapital zu schlagen. Er unterstellt der Armee, dass sie Ende Februar das koptische Kloster St. Bishoy in Wadi el-Natroun mit Panzern angegriffen habe (andere Quellen berichten von einem Angriff der Polizei), weil die Führung der Armee sich "rassistisch gegenüber Christen" verhalte. Der Angriff auf das koptische Kloster wird auch von anderen bekannten Bloggern als gegen die Revolution gerichtet gewertet.

Maikel Nabil Sanad soll bemerkenswert wenig Unterstützer haben, so Beobachter. Der Guardian-Autor Brian Whitacker führt das - mit Hinweis auf ägyptische Presseveröffentlichungen - darauf zurück, dass der pazifistisch und unabhängig denkende Blogger Sympathie für Israel geäußert habe. Zitiert wird Al-Ahram:

"Nabil has failed to win the support of many activists because of his supportive attitude towards Israel; he has called for Egypt and Israel to co-exist peacefully and to put an end to the conflict between them. Nabil’s views on Israel stem from his beliefs on individualism and individual liberties."