Schluss mit lustig

Der Chefin des IWF reißt langsam der Geduldsfaden mit den Griechen, während der Dichter Grass lieber von der "Schande Europas" faselt

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Günther Grass hat wieder zur Feder gegriffen. Er hat wieder ein Gedicht geschrieben. Wieder in metrischer Form und voller Wut. Diesmal über Griechenland und die "Schande Europas", das sich erdreistet, das Land global an den "Pranger" zu stellen und deren Bürger durch Spardiktate in die Armut zu treiben.

Grass rappt

Und wieder hat der Dichter mit der "Süddeutschen Zeitung" ein willfähriges Medium gefunden, das sich nicht nur mit den zornigen Worten des Dichter schmücken will, sondern den Vierundzwanzigzeiler gleich in die Tradition antiker Texte, von Bertolt Brecht oder des HipHop stellt. Was im Grunde irgendwie komisch klingt: Grass, der über Griechenland und dessen Not und Elend rappt.

Die "BILD-Zeitung" wittert bereits wieder einen Skandal, während der Spiegel eher gelassen auf die Zeilen reagiert und genau das verneint. In Anspielung auf das vorhergehende Gedicht über Israel und die Atombombe spricht das Nachrichtenmagazin von "nachgefüllter Tinte", eine durchaus zutreffende Metapher.

Sarrazin schreibt

An viel "Lärm und Zank" scheint es im "Land der Dichter und Denker" derzeit jedenfalls nicht zu mangeln. Auch Thilo Sarrazin hat es bekanntlich wieder getan. Auch er hat gerade ein neues Buch geschrieben. Über den Euro und ob Europa den überhaupt braucht. Und wieder war die Aufregung sofort riesengroß.

Reflexartig schrie die gesammelte Politikerklasse "Mordio", fabulierte irgendetwas von "Tabubruch", "Provokation" und "Nationalismus", während der "Stern" dem vermeintlichen "Brandstifter" und "Hetzer" gleich ein zwölfseitiges Special widmete, noch ehe das Buch überhaupt auf dem Markt war. Um damit nur den Verkauf des Buches anzukurbeln.

Nun, so schlimm ist es bei weitem nicht. Das kann ich jedem versichern. Wer das Buch aufschlägt und anliest, wird jedenfalls kaum ein Argument finden, das nicht in den letzten beiden Jahren in unzähligen Talkshows, die das öffentlich-rechtliche Staatsfernsehen aufbietet, um sich der Loyalität der Bürgerinnen und Bürger zu vergewissern, nicht auf- oder abgenudelt worden wäre.

Grass fantasiert

Und auch im Falle Grass verhält es sich nicht recht viel anders. Denn von was der Dichter da redet, hat weder mit der heutigen Realität Griechenlands noch mit der Europas irgendetwas zu tun. Eher mit romantischen Kitsch, den er da verbreitet. Von der "Wiege" der Demokratie ist da die Rede. "Antigone", "Sokrates" und gar der "Olymp" werden bemüht, der in die Hände der Sparkommissaren zu fallen drohe.

Klarerweise auch von "Hölderlin", dessen Griechenlandbild wie das spätere von Heidegger auf bloßer Annahme und Einbildung beruhte. Von Uniformen, in deren "Tornistern" er nach dahin heimgekehrt sei, eine Anspielung auf die deutschen Besatzer während WK II. Und es ist auch davon die Rede, dass Europa verkümmern werde, wenn man das Land dem bösen "Markt" und den "Claqueuren" Europas überlasse.

Nur noch Schrottwert

Doch das Hosianna, das er da auf das südliche Mittelmeerland singt, ist längst Makulatur. Der griechische Spirit, den Grass bemüht, ist ver- und ausgeflogen. Vom Ruhm und Glanz, von der "Blüte des Landes" ist wenig geblieben außer "Schrottwert". Ihn haben die Griechen selbst durch jahrzehntelange Miss- und Günstlingswirtschaft sowie eine laxe Steuerpolitik verschuldet. Sie selbst waren es, die das Erbe und die Mitgift ihrer Ahnen, Helden und Götterlegenden missachtet und mit Füßen getreten haben.

Vermutlich würde der "Popanz", den der Dichter da aufbaut, nicht einmal dann ein stimmiges Bild ergeben, wenn man die Historie wirklich bemühen würde. Jedenfalls haben die Hellenen, die wir aus dem Geschichtsunterricht kennen, herzlich wenig mit jenen Griechen zu tun, die ihren Staat ruiniert haben und heute am Tropf von IWF und EU hängen. Griechenland ist heute sowohl ein "kaputter" als auch ein "korrupter Staat". Und zwar durch selbstverschuldetes Fehlverhalten.

Klartext Lagarde

Wie wohltuend kommt angesichts des Dichters Klage da jener Klartext daher, den Christine Lagarde, die Chefin des IWF, dem Reporter des britischen "Guardian" ins Ohr und Mikrofon diktiert hat (vgl. It's payback time: don't expect sympathy – Lagarde to Greeks). Man muss kein Freund der Politik Lagardes oder dieser Institution sein, um den ebenso deutlichen wie strengen Worten der Französin da in ihren Grundzügen zuzustimmen.

Statt dauernd auf den Straßen zu demonstrieren, laut herumzujammern und ständig andere für die eigene Misere haftbar zu machen, sollten die Griechen lieber ihren Staat in Ordnung bringen und "sich gegenseitig helfen". Sie sollten endlich "Verantwortung übernehmen" und vor allem "Steuern zahlen" statt ihr Geld in die Schweiz zu transferieren.

Sie habe mehr Mitleid mit afrikanischen Kindern, die kaum Bildung und Erziehung erfahren, die sich mangelhaft ernähren können und sich einen Raum, einen Stuhl oder einen Tisch mit allen anderen teilen müssen, als mit den griechischen. Zumal die Not hausgemacht ist. Die Eltern seien nun mal dafür zuständig. Dass die Kinder die Suppe jetzt auslöffeln müssten, die ihnen ihre Väter und Großväter eingebrockt hätten, sei nun mal Fakt.

Zahltag naht

Dass die Wirtschaft nicht floriere und das Sozial- und Gesundheitssystem am Boden läge, hätten die Griechen mehr oder weniger selbst verbockt. Wer viele Jahrzehnte über seine Verhältnisse gelebt hat, es sich auf Kosten anderer hat gut gehen lassen und mehr ausgegeben und verschwendet hat als er eingenommen habe, dürfe sich hinterher nicht wundern, wenn irgendwann der "Zahltag" dafür komme und man im Land den Gürtel enger schnallen müsse.

Reiche Länder, die einen gewissen sozialen Standard gewohnt sind und Staatshilfen in allen erdenklichen Notlagen des Lebens erwarten dürfen, haben da gewiss mehr Mühe als arme, wo das nicht die Regel ist:

"It's sometimes harder to tell the government of low-income countries, where people live on $3,000, $4,000 or $5,000 per capita per year, to actually strengthen the budget and reduce the deficit. Because I know what it means in terms of welfare programmes and support for the poor. It has much bigger ramifications."

Auflagen erfüllen

Die Politik des IWF jedenfalls sei da knallhart und unerbittlich. Auch die Instrumentalisierung sozialer Probleme, die das Land gern als Faustpfand im Poker um Milliardenhilfen mitunter einsetzt, werde nicht funktionieren. Wenn die Griechen glaubten, sie könnten die Sparmaßnahmen aussitzen und trotzdem Hilfen des IWFs in Anspruch nehmen, dann würden sie sich extrem täuschen.

Das Land werde keine "Sonderbehandlung" erfahren, sagt Lagarde unmissverständlich. Das könne sie schon gegenüber ärmeren Staaten nicht vertreten oder gar befürworten. Daran werde auch eine mögliche Regierungsübernahme der Syriza-Partei nach dem 17. Juni wenig ändern.

Pleitegeier kreist

Es scheint, als ob die Eule der Minerva mit ihrem Flügelschlag nicht mehr erst bei einbrechender Dämmerung beginnen müsse. Der Pleitegeier kreist längst über dem Land. Offenbar haben einige den Ernst der Lage, in dem sich das Land befindet, immer noch nicht so recht erkannt, geschweige denn begriffen.