Das "Endspiel" der globalen Finanzmarkt-Deregulierung

Geheimes Memo von Timothy Geithner an Larry Summers bestätigt Verschwörungstheorien über einen Pakt des US-Finanzministeriums mit der Wall Street zur weltweiten Deregulierung der Finanzmärkte

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Der Ökonom Larry Summers hat schon einiges erlebt: Von 1991 bis 1993 war der Harvard-Absolvent Chefökonom der Weltbank, ab 1995 unter Bill Clinton Stellvertreter von Finanzminister Robert Rubin und von 1999 bis 2001 selbst US-Finanzminister. Dann wurde er Präsident der Harvard University, musste aber wegen einer abfälligen Bemerkung über Frauen in den Naturwissenschaften 2006 von seinem Amt zurücktreten, was Präsident Barack Obama aber nicht daran hinderte, Summers 2008 zu seinem wichtigsten Wirtschaftsberater zu ernennen. Aktuell gilt er als dessen heißester Kandidat für die Nachfolge von Ben Bernanke an der Spitze der US-Notenbank, was offenbar nicht überall auf Zustimmung stößt.

So wurde dem Finanz-Blogger Greg Palast gerade ein Memorandum zugespielt, das alle Verschwörungstheorien bestätigt, die Summers schon länger als stärksten politischen Arm einer geheimen Konspiration sehen, die die führenden US-Banken in den 1990er Jahre angezettelt hatten, um alle lästigen Regulierungen abzuschütteln. Ziel war die Entfesselung der Finanzmärkte und tatsächlich wurde Ende der 1990er Jahre nicht nur die nach dem Finanzcrash von 1929 verfügte strenge Trennung von Geschäftsbanken und Investmentbanken aufgehoben, es wurde auch die Regulierung der Derivativmärkte verhindert. Heute gilt das als wesentliche Voraussetzung für die Finanzmarkt-Exzesse, die 2008 zum Beinahe-Zusammenbruch des westlichen Finanzsystems und zur "Großen Rezession" geführt hatten - was Bill Clinton mittlerweile zur Ansicht brachte, er sei von Summers und Rubin falsch beraten worden.

Dass Summers und Rubin klar für die Deregulierung der Finanzmärkte eingetreten waren, ist unbestritten; nur hatten sie dies mit den von neoliberalen Ökonomen stets angeführten Effizienzvorteilen begründet, die es hätte, wenn die Märkte sich selbst regulieren dürften und nicht von den Behörden behindert würden. Dass Rubin und Summers den führenden Banken alle nur denkbaren Wünsche erfüllten, wäre also nicht auf deren Veranlassung geschehen, sondern Zufall. Ebenso wie die Tatsache, dass Rubin wenige Wochen nach seinem Ausscheiden als Finanzminister mit dem Vorsitz der damals größten US Bank Citigroup belohnt wurde und Summers als Universitätsprofessor durch einen „Nebenjob“ als Berater für das Investmenthaus D. E. Shaw & Company und ebenfalls der Citigroup zwei- bis dreistellige Millionenbeträge absahnte.

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Dass Summers tatsächlich mit der Wall Street im Bunde war, zeigt nun ein Memo, dass der Unterstaatssekretär im Finanzministerium Timothy Geithner (später Chef der Federal Reserve Bank of New York, die 2008 die Soforthilfen an die Wall Street Banken im Zusammenhang mit dem gescheiterten Versicherer AIG ausgezahlt hatte, dann Finanzminister unter Obama und heute Außenseiterkandidat für die Notenbankführung) 1997 an Summers geschrieben hatte. Darin forderte er ihn auf, sich mit den führenden Managern der so genannten „Financial Leaders Group“ ins Einvernehmen zu setzen, da die WTO-Verhandlungen über die globalen Finanzdienstleistungen mittlerweile „im Endspiel“ wären. Geithner, der die Büros der Bankdirektoren bereits von dem kommenden Anruf informiert habe, fügte dann auch noch gleich die Privatnummern der damaligen "Big-Five"-Banker an, die Palast zufolge heute noch teilweise unter diesen Nummern erreichbar sind.

Von Goldman Sachs war das John Corzine (212-902-8281), der gerade wegen der Pleite seiner Investmentfirma vor Gericht steht, weiters David Kamanski (212-449-6868) von Merrill Lynch, David Coulter (415-622-2255) von der Bank of America, John Reed (212-559-2732) von der Citibank und Walter Shipley (212-270-1380) von Chase Manhattan. Laut Palast unterhielten sie sich über ihren Versuch, das „Financial Services Agreement“ der Welthandelsorganisation dazu zu nutzen, den unregulierten Derivatehandel weltweit durchzusetzen und die WTO-Mitgliedsländer zu zwingen, ihre Märkte für die neuen Finanzprodukte der Wall-Street-Banken zu öffnen.

Mit dieser Aufgabe befasst war anscheinend Geithner, der im Auftrag des Finanzministeriums als US-Botschafter bei der Welthandelsorganisation (WTO) fungierte und Palast zufolge nicht unbedingt die feinsten Methoden angewendet hat, um widerspenstige Staaten von einem Beitritt zu überzeugen. Beispielsweise soll Ecuador schlicht mit einem Importverbot für sein wichtigstes Exportgut Bananen bedroht worden sein. Aufgrund des starken Drucks der USA (und vermutlich auch aus mangelnder Einsicht in die Folgen) hatten dann auch alle WTO-Mitglieder zugestimmt. Abgesehen von Brasilien, dessen neuer Präsident Lula da Silva sich standhaft weigerte, was Brasilien später die schwersten Folgen der Finanzkrise von 2008 ersparte.