Kluge und unterscheidungsfähige Helfer

Dreijährige zeigen einen klaren Kopf bei der Wahrnehmung von Verhalten und Absichten Anderer

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Erwachsene werfen sich gerne einen überlegenen, wissenden Blick zu, wenn ein Kleinkind nach Gut und Böse fragt. Typisch Kind eben. Typisch erwachsen, sich darüber zu erheben. Wie intakt und wach bereits das moralische Urteil von Dreijährigen sein kann, zeigen zwei Studien, die vom Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie mit "fast 100 Dreijährigen" durchgeführt wurden und nun im Fachmagazin Child Development veröffentlicht sind. Demnach sinkt die Bereitschaft von Dreijährigen signifikant, wenn "sie beobachten, wie die Person, die ihre Hilfe benötigt, zuvor einer anderen Person Schaden zugefügt hat".

Selbst wenn diese Person - im Experiment ein Erwachsener, der eine Zeichnung zerreissen will - nur die Absicht hat, jemanden zu schaden und dies gar nicht durchführen konnte, wollten sie ihr nicht helfen. In dem Spiel-Experiment ging es darum, dass die Kinder mit Erwachsenen ein fehlendes Teil suchten. Hatte der Erwachsene zuvor versucht, eine "fremde Zeichnung" zu zerreissen, halfen ihm die Kleinen nicht. Ganz anders hingegen, wenn die Zeichnung versehentlich zerrissen wurde, dann zeigten sich die Kinder schon hilfsbereit und spielten bei der Suche nach dem fehlenden Teil mit.

Die soziale Kompetenz, welche die "sehr klugen und unterscheidungsfähigen Helfer" an den Tag legten, unterstützt die Argumente jener Eltern, die ihre Kinder in die Krippe schicken, obwohl ihnen nicht selten entgegengehalten wird, dass ihre Kinder "sozial" noch nicht so weit seien. Ganz im Gegenteil, meint Lieselotte Ahnert, Professorin für Entwicklungspsychologie an der Universität Wien, die über "Kleinkinder in familiärer und außerfamiliärer Betreung" forscht.

Schon seit dem ersten Lebensjahr seien "erweiterte Sozialkontakte" für die Entwicklung förderlich, betonte sie gegenüber der SZ. Zwar gibt auch sie selbstverständlich zu bedenken, dass es sehr auf die Qualität der Betreuung ankomme. Und in ihren Arbeiten ist zu lesen, wie wichtig die primären Beziehung zuhause sind, dass die Forschung noch nicht soweit sei, ein schlüssiges Modell dafür abzugeben, wie Kinder mit verschiedenen Betreuungserfahrungen psychologisch umgehen, aber gegenüber der Zeitung äußert sie Skepsis gegenüber einer "Übermutterung".

Ein ähnliche Aussage trifft dort auch die Heidelberger Entwicklungspsychologin Sabina Pauen, derzufolge Krippen nicht nur für "Kinder mit niedrigem sozialen Status" nützlich sind - eine These, die auch der amerikanische Wirtschaftsnobelpreisträger von 2000, James Heckman, mit seinen Arbeiten stützt -, sondern "auch (für) die überbehüteten Kinder".