Der Rubikon ist überschritten: Christian Wulff tritt zurück

Angela Merkel muss zweiten Rücktritt eines Bundespräsidenten innerhalb einer Legislaturperiode verkraften

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Für Christian Wulff zahlt sich seine Zähigkeit am Ende doch nicht aus: Nach 597 Tagen im Amt tritt Bundespräsident Christian Wulff von seinem Amt zurück. Es dürfte das Ende seiner politischen Karriere sein. Deutschland brauche einen Präsidenten, der sich uneingeschränkt den nationalen und internationalen Herausforderungen widmen könne. Wulff erläuterte in seiner Erklärung, dass dazu das breite Vertrauen der Bevölkerung nötig sei. Dies sei jedoch nicht mehr gegeben. Zugleich beteuerte Wulff, dass er sich stets rechtlich korrekt verhalten hat. Er sei überzeugt, dass die Ermittlungen gegen ihn zu seiner vollen Entlastung führen würden. Wulffs Rücktrittserklärung ist zugleich auch ein Seitenhieb auf die Medien. Die Berichterstattung der vergangenen Zeit habe seine Frau und ihn verletzt, so Wulff. Offenbar sieht Wulff durch die Medienberichterstattung gar die demokratische Kultur in Gefahr. Er wünsche sich eine politische Kultur in Deutschland, in der sich die Menschen gern für die Demokratie einsetzen, so Wulff. Offenbar will er damit sagen, dass dies seiner Erfahrung so nicht mehr gegeben sei.

Noch 50 Minuten vor der Rücktrittserklärung teilte der Bundestagspräsident Norbert Lammert mit, dass er den Antrag der Staatsanwaltschaft Hannover auf Aufhebung von Wulffs Immunität erhalten habe und diesen "unverzüglich" an den Immunitätsausschuss des Bundestages weiterleiten werde. Dies ist nun nicht mehr nötig: mit dem Rücktritt des Bundespräsidenten endet automatisch auch seine Immunität, die Staatsanwaltschaft kann damit unverzüglich die Ermittlungen so aufnehmen, wie dies bei jedem Bürger üblich wäre.

Kanzlerin Angela Merkel musste aufgrund der Affäre um Christian Wulff kurzfristig ihre geplante Italienreise absagen. Ursprünglich waren für heute Gespräche mit dem Ministerpräsidenten Mario Monti und Staatspräsident Giorgi Napolitano geplant. Noch heute um 7.29 verbreitete das Bundespresseamt diesen Termin. Doch um 9.40 bestätigten Regierungskreise gegenüber Telepolis, dass die Reise abgesagt wurde. Merkel habe Monti dies soeben telefonisch mitgeteilt, ein neuer Termin für die Begegnung werde derzeit noch gesucht. So belastet der Bundespräsident, den Merkel selbst ausgewählt hatte, die Handlungsfähigkeit der Kanzlerin in der Euro-Krise.

Hintergrund des Wulff-Rücktritts ist der Antrag der Staatsanwaltschaft Hannover auf Aufhebung der Immunität des Bundespräsidenten. Diese sieht aufgrund der Berichte über die Verbindung zwischen dem Filmfondsmanager David Groenewald und dem damaligen Ministerpräsidenten Christian Wulff "nunmehr zureichende tatsächliche Anhaltspunkte und somit einen Anfangsverdacht wegen Vorteilsannahme bzw. Vorteilsgewährung". Hintergrund ist, dass sich Wulff offenbar auf einem Sylt-Urlaub von dem Unternehmer aushalten ließ, während der Unternehmer wiederum von einer Landesbürgschaft in Höhe von 4 Millionen Euro profitierte. Wulff behauptet, er habe Groenewald noch auf Sylt den von Groenewald vorgestreckten Rechnungsbetrag in bar zurückgezahlt. Dies zu beweisen dürfte allerdings äußerst schwer fallen.

Nach Bekanntwerden der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen rückten zunehmend auch Politiker aus den eigenen Reihen von Wulff ab. Der Vize-Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Michael Meister, bundespraesident-dpa-meldet-wulff-wird-zuruecktreten/60170136.html?page=2: erklärte, er erwarte, dass der Bundestag die Immunität von Christian Wulff aufhebe. Diese sei nicht dazu da, um Einzelpersonen vor Strafverfolgung zu schützen.

Der Fraktionschef der Grünen im Bundestag, Jürgen Trittin, forderte dagegen offen den Rücktritt von Christian Wulff. Deutschland könne nicht von jemandem vertreten werden, gegen den Ermittlungen liefen. Die Parteivorsitzende der Grünen, Claudia Roth, wollte so weit nicht gehen. Sie forderte den Bundespräsidenten lediglich auf, während der Dauer der Ermittlungen sein Amt ruhen zu lassen.

Weniger rücksichtsvoll ging die SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles mit Christian Wulff um. Staatsanwaltschaftliche Ermittlungen seien mit dem Amt des Bundespräsidenten nicht vereinbar, erklärte sie und forderte, nun einen neuen Kandidaten für das Amt zu suchen, der von allen Parteien getragen werden kann. Ralf Stegner, Vorstandsmitglied in der SPD-Parteiführung ergänzte, der Rubikon sei überschritten, ein Rücktritt von Wulff unvermeidlich.

Auch die Linkspartei fordert einen überparteilichen Nachfolger für Christian Wulff zu finden. In der Union jedoch kann man sich damit offenbar nicht anfreunden. "Wir haben eine Demokratie, und da sollte die Mehrheit einen geeigneten Kandidaten finden", so Fraktionsvize Meister zu diesem Ansinnen.

Telepolis fragt: Wer kommt nach Wulff?