Inwieweit ist kooperatives Verhalten ansteckend?

Zumindest Schweizer Studenten zeigen sich unter Druck hilfsbereit

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Gut zu hören, dass zwei renommierte US-Forscher auf der Jagd nach dem Guten sind. James Fowler von der Universität von Kalifornien in San Diego und Nicholas Christakis von der Harvard Medical School in Boston haben jüngst ihr Buch "Connected" veröffentlicht, in dem sie auf der Spuren der Verbreitung von Glück in sozialen Netzwerke sind. Der Datenanalysen der Framingham Herz Studie wollen sie sogar entnommen haben, dass der Freund einer glücklichen Person mit einer Wahrscheinlichkeit von 25 Prozent ebenfalls glücklich wird.

Nun gingen Fowler und Christakis einen Schritt weiter. Sie analysierten ein Experiment, in dem Testpersonen entscheiden mussten, wie viel Geld sie in einen öffentlichen Pot geben wollen. Insgesamt 240 Testpersonen nahmen an einem Spiel mit mehreren Spielrunden teil, in denen sie jeweils mit drei anderen Teilnehmern eine Gruppe bildeten. In jeder Spielrunde erhielten die Probanden 20 Geldeinheiten und mussten entscheiden, wie viel sie davon für ein Gruppenprojekt beisteuern wollten. Jede Spende verringerte also das individuelle Vermögen, steigerte aber den Pot, der später ausbezahlt wurde.

Das ist eine Variante des klassischen Public Goods Game, mit dem Unterschied, dass in diesem Fall die Teilnehmer am Ende jeder Runde erfuhren, wie viel die anderen Teilnehmer für das gemeinsame Projekt ausgegeben hatten.

In der nächsten Runde wurden die Gruppen neu zusammengestellt. Hatten sich zuvor einige Gruppenteilnehmer großzügig gezeigt, wirkte sich dies in der nächsten Spielrunde aus. Die Teilnehmer, die vorher profitiert hatten, waren in der nächsten Spielrunde ebenfalls großzügiger – und dies übertrug sich wiederum auf die anderen Teilnehmer in dieser Runde. Ein Domino-Effekt von Kooperation kam in Bewegung.

Die nicht ganz überraschende Erklärung von Fowler und Christakis: Menschen imitieren gerne das Verhalten von Mitmenschen, sei es direkt, sei es, um sozial erwünschtes Verhalten zu zeigen. Ihr Fazit geht weiter: Hilfsbereitschaft ist ansteckend und hat eine wichtige Rolle bei der Evolution von Kooperation gespielt. Ganz so optimistisch muss man vielleicht nicht sein. Denn erstens verbreitet sich auch unkooperatives Verhalten in Kleingruppen dieser Art. Schon im ursprünglichen Experiment von Ernst Fehr und Simon Gächter, dessen Daten Fowler und Christakis nutzen, zeigt sich, dass Kooperation genauso zum Guten wie zum Schlechten wirken kann. Mehr noch, dort kooperierten die Teilnehmer nur so lange, wie sie Abtrünnige bestrafen konnten. Fowler und Christakis wollen nun in dem Datensatz Ansätze dafür gefunden haben, dass die Teilnehmer auch ohne Strafandrohung munter kooperierten.

Zweitens wurde von den beiden US-Forschern in ihrer Interpretation der Aufbau der Originalstudie kaum berücksichtigt. Die nämlich wurde an einer Schweizer Universität mit Studenten durchgeführt. Obwohl die Teilnehmer anonym blieben, kann vermutet werden, dass sie wussten, dass sie mit anderen Studenten oder zumindest Schweizern spielen. Wie sie oder andere Kulturen also gegenüber tatsächlich Fremden reagieren, ist offen. Und damit ist auch die Übertragbarkeit auf die Weltbevölkerung problembehaftet.

Drittens stellt sich die Frage, ob hier weniger altruistisches Verhalten, als vielmehr die Suche nach der optimalen Strategie die entscheidende Rolle spielt. Eine Erklärung, wie sich Kooperation in Menschen evolutionär entwickelt haben könnte, bietet das Experiment jedenfalls nicht. Vielmehr ist der Faktor "Zusammenarbeit zur gemeinsamen Zielerreichung" eine Variante der Natur, die schon vor dem Auftreten der Menschenaffen existierte.