Ein bisschen Blackout-Panik gefällig?

Der Winter naht, und für manchen ist das Anlass genug Falschmedlungen zu recyceln

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Alle Jahre wieder: Das Springer Blatt Lübecker Nachrichten will uns mal wieder Angst mit drohenden Blackouts machen. "Droht in diesem Winter ein großflächiger Stromausfall in Deutschland? Ein solches Szenario wird nach Ansicht von Experten im Zuge der Energiewende wahrscheinlicher."

Hatten wir das nicht erst letzten Winter? Da sollten doch wegen der Abschaltung einiger AKWs – neun wurden stillgelegt, zwei davon liefen ohnehin schon seit Jahren nicht mehr – die Lichter ausgehen. Wurde bekanntlich nichts draus, auch wenn man zwei Situationen, in denen es eng wurde, den Erneuerbaren in die Schuhe schieben wollte.

Das war allerdings mal wieder die übliche Propaganda gewesen, wie sich im Nachhinein herausgestellt hatte. In einem Fall hatte E.on auf den Einsatz seiner bayrischen Gaskraftwerke verzichtet und lieber die österreichische Kaltreserve in Anspruch genommen. Der Grund: Für deren Mehrkosten müssen die Verbraucher aufkommen.

Das Springerblatt hält das nicht davon ab, die ewig gleichen Falschmeldungen zu wiederholen:

Laut Bundesnetzagentur in Bonn hat die Bundesrepublik bereits im vergangenen Winter an der Schwelle zu einem Blackout gestanden. "Es gab im Dezember und im Februar kritische Situationen", sagt Sprecherin Yvonne Grösche. Grund dafür sei, dass das Netz wegen der dezentralen Stromerzeugung durch Wind- oder Photovoltaikanlagen verstärkt störungsanfällig sei.

Die tatsächlichen Fakten: An den fraglichen Tagen im Dezember hatte es zwar reichlich Windstrom gegeben, dessen Lieferung nach Italien aber schon vertraglich zugesichert war. Als dann in Bayern unvorhergesehener Weise ein AKW ausfiel, war es für E.on billiger, an den vertraglichen Verpflichtungen festzuhalten und lieber die Kaltreserve in Anspruch zu nehmen. Auch auf den Einsatz eigener Reservekraftwerke hatte das Unternehmen, wie oben erwähnt, verzichtet.

Und im Februar waren es schlicht zockende Stromhändler, die den Engpass verursacht hatten. Die Netzagentur hatte versprochen, den Fall weiter untersuchen zu wollen, aber irgendwie hat man davon nichts mehr gehört, nachdem Bundeswirtschaftsminister Philip Rösler kurz darauf seinen ehemaligen Staatssekretär Jochen Hohmann zum Chef der Agentur machte.

Netzbetreiber Tennet beklagt sich übrigens in dem oben zitierten Artikel der Lübecker Nachrichten, dass das Netz in Schleswig-Holstein nicht für die dezentrale Erzeugung ausgelegt und ein Umbau nicht in kürzester Zeit zu bewerkstelligen sei. Was dabei dezent verschwiegen wird, ist die regionale Vorgeschichte.

Tennet und seinen Vorbesitzern gehörte und gehört in Schleswig-Holstein nicht nur das Höchstspannungsnetz, sondern in vielen Kreisen auch die niederen Netzebenen. (Mancherorts gibt es dort derzeit Bestrebungen zur Rekommunalisierung der Verteilernetze, aber das ist eine andere Geschichte.) Bereits seit Ende der 1990er gibt es in dem Land zwischen den Meeren, das wie das benachbarte Dänemark zu den Pionieren der Windenergienutzung gehört, eine Auseinandersetzung um den Netzausbau. Die Betreiber sind eigentlich gesetzlich dazu verpflichtet, die Übertragungskapazitäten an die erneuerbaren Energieträger anzupassen. Tennet-Vorbesitzer E.on fand jedoch allerlei Mittel und Ausreden, dies immer wieder zu verzögern. Auch mehrmalige Ermahnungen durch das Landesparlament haben da wenig gefruchtet.