Spanier protestieren erneut gegen Sparprogramme

In 57 spanischen Städten wurde von der Regierung ein Referendum über die Sparpolitik gefordert, um einen Generalstreik abzuwenden

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Die großen Gewerkschaften in Spanien haben am Sonntag mit 57 Demonstrationen erneut gegen die Sparpolitik der konservativen Regierung im ganzen Land demonstriert. Beim zentralen Marsch in der Hauptstadt Madrid, an dem sich gut 70.000 Menschen beteiligt haben sollen, hat sich der Chef der großen Arbeiterkommissionen (CCOO) Ignacio Fernández Toxo gegen den Sparhaushalt 2013 gewandt, "der eine tiefere Rezession und mehr Arbeitslosigkeit" bringen wird, dabei ist das Land ohnehin schon Weltmeister. Mit dem Kollegen der Arbeiterunion (UGT) forderte er erneut Ministerpräsident Mariano Rajoy auf, per Referendum die Bevölkerung über die tiefen Einschnitte ins Sozialsystem abstimmen zu lassen.

Mehr als 150 Organisationen, die den "Sozialpakt" bilden, werfen der konservativen Volkspartei (PP) "offensichtlichen Wahlbetrug" vor. Rajoys Politik bringe nur "mehr Krise, mehr Arbeitslosigkeit, geringere soziale Absicherung und geringer staatliche Leistungen" in einem Land, in dem "nur die ökonomisch-finanziellen Eliten" gerettet werden, heißt es im Manifest, das in allen Städten verlesen wurde. "Wenn es zum Generalstreik kommt, dann trägt die Regierung die Verantwortung dafür", sagte Toxo. Nur mit einem Referendum könne sie ihn abwenden.

Der Haushalt sieht erneut tiefe Einschnitte in Bereichen vor, in denen Rajoy vor den Wahlen im vergangenen November versprach, keine Kürzungen vornehmen zu wollen. Doch an Bildung und Gesundheit wird auch im zweiten Haushalt der Konservativen erneut die große Schere angesetzt. Zudem wurde Rajoy mit dem Versprechen gewählt, Steuern zu senken. Stattdessen wurden sie auf breiter Front erhöht. Am Sonntag wurde er deshalb an seine eigenen Worte erinnert. Als die sozialistische Vorgängerregierung 2010 die Mehrwertsteuer von 16 auf 18 Prozent anhob, sprach er im Parlament von einem "Säbelhieb einer unfähigen Regierung".

Nun hat er sie aber von 18 auf 21 Prozent angehoben, obwohl er diesen Schritt einst nicht nur "ungerecht" genannt hatte, weil es die besonders treffe, "die am wenigsten haben", sondern er hatte sie auch als "kalte Dusche für eine Wirtschaft in der Schockstarre" bezeichnet. 2010 stimmte die Einschätzung nicht, denn Spanien verzeichnete ein geringes Wachstum. Doch seit Rajoy die Steuern erhöht und ein Sparpaket nach dem anderen beschließt, rutscht das Land tief in die Rezession und kommt deshalb auch kaum beim Abbau des Haushaltsdefizits voran.

Das stellt auch die renommierte britische Wochenzeitschrift The Economist in der neuen Ausgabe heraus. Gesprochen wird von einem "mysteriösen " Regierungschef bei dem man sich Frage, ob er irgendeinen Plan habe. Befürchtet wird, dass sich das Land schon in einer "Todesspirale" abwärts wie Griechenland gefangen sei. Die Probleme von Rajoy "verschlimmern sich, statt sich zu verbessern".

Niemand geht davon aus, dass die Regierung in der Frage des Referendums einlenken wird. Ein Termin für den Generalstreik steht längst im Raum. Am 14. November soll in mehreren Ländern gleichzeitig gestreikt werden. In Portugal wurde der Termin vergangene Woche schon bestätigt. Er wurde zuvor mit den spanischen Gewerkschaften in Madrid vereinbart. Unklar ist noch, ob sich auch die großen Gewerkschaften in Griechenland und Italien anschließen werden.

Allerdings wird noch vor dem Generalstreik im Baskenland und in Galicien über die Sparpolitik bei vorgezogenen Neuwahlen abgestimmt. Der Wahlkampf für die Wahlen am 21. Oktober hat schon begonnen und sie werden für Rajoy zum Stresstest. Deshalb, so werfen die Demonstranten ihm vor, versuche er Zeit zu gewinnen, habe er das auf sechs Monate befristete Sozialgeld bis zum Jahresende verlängert und äußere sich auch nicht dazu, ob die Renten wie gesetzlich vorgeschrieben an die Inflationsrate angepasst werden. Eine Anhebung um etwa drei Prozent kann sich die Regierung aber nicht leisten. In "Geheimverhandlungen" mit der EU-Kommission im Rahmen des umfassenden Rettungsantrag schon werde sogar schon über Rentenkürzungen verhandelt, vermuten die Gewerkschaften.

Rajoy äußert sich dazu nicht, weil die große Gruppe der Rentner wahlentscheidend sind und bei diesen Wahlen für ihn viel auf dem Spiel steht. Er fürchtet, seine PP könnte in seiner Heimatregion Galicien die absolute Mehrheit verlieren. Verliert Rajoy sogar seine Hochburg, würde das allseits als das Referendum-Ergebnis über seine Politik und als enormer Machtverlust gewertet.