"Würde der Frau" möglicherweise mit Burkatragen vereinbar

Der französische Staatsrat warnt erneut davor, dass der Gesetzesvorschlag zum absoluten und generellen Verbot der Vollverschleierung auf brüchigem juristischem Fundament steht

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Das viel diskutierte Anti-Burka-Gesetz stößt beim französischen Staatsrat weiterhin auf große Bedenken. Erneut habe der Staatsrat ( Conseil d'État der Regierung gegenüber eine negative Expertise abgegeben, berichtet der Figaro. Schon Ende März bemängelte das Rechtsberatungsgremium gegenüber Regierungsvertretern, dass ein generelles Burka-Verbot ohne sicheres juristisches Fundament dastehe. Für abgegrenzte Bereiche und Umstände sei ein bedingtes Verbot der Vollschleierung aus Gründen der Sicherheit rechtlich abgesichert - dafür gibt es allerdings schon Gesetzgebung. Ein "absolutes und generelles Verbot der Vollverschleierung" sei allerdings "starken Unsicherheiten durch Verfassung und Konventionen ausgesetzt", betonten Vertreter des Staatsrats erneut gegenüber dem Generalsekretär der Regierung, der die Verbindung zwischen Regierung und Staatsrat herstellt.

Diesmal konzentrierten sich die Rechtsberater auf die beiden zentralen Begriffe, mit denen die Regierung versucht, verfassungsrechtlichen Bedenken gegenüberzutreten: Die Würde der Frau und einer Erneuerung des Begriffes der "öffentlichen Ordnung". Man versucht diese als Zusammenleben ("Vivre ensemble") zu definieren mit Mindeststandards, denen das Tragen einer Burka oder des Niqab nicht entspräche (siehe "Hinter tausend Stäben keine Welt").

Ob man mit dieser weitgefassten Interpretation fundamentale Freiheitsrechte einschränken könne, sei sehr fraglich, so der Staatsrat, und "ohne Vorläufer". Auch die "Würde der Frau" sei gegen das vom Europäischen Gericht für Menschenrechte proklamierten "Prinzip der persönlichen Autonomie" abzuwägen. Demnach könne jeder Mensch sein Leben nach eigenen Überzeugungen führen, selbst wenn ihn das physisch oder psychisch in Gefahr bringe, so zitiert der Figaro die Auffassung der Rechtsberater. Sollte die Frau darin eingewilligt haben, eine Burka zu tragen, werde es sehr schwierig, hier juristisch mit der "Würde der Frau" zu argumentieren, um ein allgemeines Verbot durchzusetzen.

Die Regierung gab sich dieser Einschätzung gegenüber gelassen. Die Expertise habe lediglich beratenden Charakter, heißt es dazu aus dem Umkreis des Premierministers, sie ändere nichts an der Entschlossenheit am bisherigen Gesetzesvorschlag festzuhalten. Man müsse akzeptieren, dass Überzeugungen juristische Risiken haben, hat Premierminister Fillon schon vor Bekanntgabe der abschlägigen Einschätzung des Staatsrats verlauten lassen.

Die Führung setzt darauf, dass der Gesetzesentwurf Mitte September beide Kammern passiert haben wird und damit im Frühjahr 2011 in Kraft treten wird. Man gibt sich gelassen, was den Widerstand gegenüber der Gesetzgebung angeht. Die prinzipielle Zustimmung verläuft durch alle Parteien, auch wenn die Sozialisten sich in jüngster Zeit deutlicher für ein bedingtes Verbot aussprechen. Die Bevölkerung ist auch mehrheitlich für ein Burka-Verbot. Um den Verfassungsrat einzuschalten, der das Gesetz kassieren könnte, brauche es 60 Parlamentarier, so der Zeitungsbericht. Die Regierung ist davon überzeugt, dass dies nicht geschehen werde.

Darüberhinaus rechnet das Lager Sarkozys damit, dass ein Einspruch die Diskussionen über das Gesetz in die heiße Wahlkampfphase für die Präsidentschaftswahlen 2012 hineinträgt - mit "Würde der Frau" und den Leitwerten des "Vivre ensemble" läßt sich gut punkten.