Taliban immer dreister

Die Angriffe auf Kabul werden im sicheren Gefühl der Aufmerksamkeit von einer Livereportage des Talibansprechers begleitet, die Unfähigkeit der Regierung bloßgestellt

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Mehrere schwerbewaffnete Trupps, darunter Selbstmordattentäter, haben heute morgen Gebäude im Zentrum Kabuls angegriffen. Nach Angaben der Afghan Voice Agency (übersetzt im Blog von Juan Cole) expoldierten mehrere Bomben in nächster Nähe des Präsidentenpalastes, attackiert wurden das Fünf-Sterne-Hotel-Serena, beliebter Aufenthaltsort von Diplomaten und Journalisten, eine zentrale Straßenkreuzung ("Pashtunistan Square"), in deren Nähe sich der Präsidentenpalast, das Justizministerium und die Central Bank befinden, sowie ein Markt ("Faroshga market"), der beliebte Einkaufszentren beherbergt.

Die Angaben über Tote differieren. Offiziell spricht das Gesundheitsministerium von 5 Toten und 38 Verletzten. Die Taliban, die stolz die Verantwortung für den Angriff übernahmen, zählen 40 Tote. Die Auseinandersetzungen zwischen afghanischen Sicherheitskräften, die aus der Luft von US-Hubschraubern unterstützt wurden, und den Angreifern hielten nach Berichten stundenlang an. Der Taliban-Sprecher lieferte, wie von der New York Times berichtet, eine Art "Livereportage" der Attacken:

"The fighters and the suicide bombers are now in the Afghan National Bank , the Justice Ministry, and other official departments", he said almost three hours after the fighting started. "Fighting is still going on but our men are still alive."

Einig sind sich westliche Berichterstatter darin, dass der Angriff auf ein nenneswertes Maß an Koordination und Planung hindeute. Die Botschaft der Angriffe, dass die Hauptstadt und das Regierungszentrum nicht vor den Taliban sicher ist, wird überall verbreitet. Dagegen dürften die Abwiegelungsversuche afghanische Politiker wahrscheinlich nur wenig Gewicht haben: "Sie haben kein wichtiges Ministerium angegriffen. (...)", wird ein Parlamentarier von Al-Jazeera zitiert:

"Das heißt doch nicht, dass die Taliban stark sind. Das bedeutet nur, dass sie kein militärisches Ziel angreifen können, nur die afghanische Bevölkerung. Das heißt, dass sie schwach sind."

Undurchsichte Verhältnisse bei der Regierungsbildung

Von verschiedenen Medien wird darauf verwiesen, dass der Zeitpunkt der Angriffe mit der Regierungsbildung Karsais zusammentrifft - und, so der Schluss, der daraus gezogen wird, mit großer Aufmerksamkeit rechnen kann, um auf eine doppelte Schwäche hinzuweisen: die Verwundbarkeit und die politische Unfähigkeit der Kabuler Regierung.

Tatsächlich gibt es in Kabul noch immer keine vollständige Regierung, die arbeitsfähig wäre. Nachdem das Parlament schon vor Kurzem vorgeschlagene Ministerkandidaten des Präsidenten abgelehnt hatte, verweigerten die Abgeordneten des Unterhauses auch am Wochenende mehr als der Hälfte der neu vorgeschlagenen Minister den Zuspruch. Die Hintergründe dieser Vorgänge zeigen wieder einmal ein schwer durchschaubares Geflecht aus verschiedenen politischen Interessen und Manöver, Korruption und unterschiedlichen Loyalitäten. Während manche Beobachter dem Parlament attestieren, dass es es seine Unabhängigkeit dokumentiere, sprechen andere von Überreaktion.

Beobachter führen an, dass das Parlament Kandidaten für wichtige Ministerien angenommen habe, bei denen es sichtlich nicht um Kompetenz ging und die darüberhinaus im Korruptionsverdacht stehen.

Als hervorstechendes Beispiel wird der neu eingesetzte Chef des Drogenministeriums Sarar Ahmed Mokbel genannt, der mit großer Mehrheit angenommen wurde, seine Bestätigung durch das Parlament steht unter besonderer Kritik. Mokbel, früher Innenminister, wird Korruption und Patronagepolitik in großem Stil vorgeworfen. Auch das Justizministerium und das neue Wirtschaftsminister sollen nach zweifelhaften Gesichtspunkten besetzt worden sein. Vom neuen Wirtschaftsminister Abdul Hadi Arghandiwal heißt es, dass er enge Beziehungen zum Warlord Gulbudin Hekmatyar hat (vgl. dazu Die Rückkehr der Taliban).