Katalanische Unabhängigkeit von Spanien "absolut realisierbar"

Am Sonntag wird in der wirtschaftlich bedeutsamsten spanischen Region gewählt, die ihre Unabhängigkeit anstrebt

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Am Sonntag finden in Katalonien entscheidende vorgezogene Wahlen statt, die Auswirkungen auf ganz Spanien haben dürften. Es dreht sich darum, dass Katalonien die Unabhängigkeit anstrebt. Letzte Umfragen sind sich uneinig darüber, ob die moderaten Nationalisten der Konvergenz und Einheit (CiU) die absolute Mehrheit erhalten. Die strebt der CiU-Chef Artur Mas an. Der Präsident der Regionalregierung will ein klares Votum um ein Referendum über die Unabhängigkeit nach Vorbild der Schotten durchzuführen, um ein "neuer Staat in Europa" werden, wie es auf einer Demonstration im September 1,5 Millionen in Barcelona forderten. Die Schotten werden 2014 über die Loslösung von Großbritannien abstimmen.

Klar ist, dass die Parteien eine deutliche Mehrheit erhalten werden, die für die Unabhängigkeit eintreten. Nach Umfragen sprechen sich schon knapp 60% der Bevölkerung in Katalonien dafür aus. Bei den Wahlen wird das Ergebnis noch deutlicher ausfallen, nachdem nun auch die CiU dieses Ziel formuliert. Erwartet wird, dass sie deutlich mehr als ihre bisherigen 62 Sitze erhält. Für die absolute Mehrheit wären 68 nötig. Mas fordert immer wieder Sympathisanten anderer Parteien auf, ihm die Stimme "zu leihen", damit er eine "außerordentliche Mehrheit" erhält.

Die Stimmen werden vor allem von der Sektion der spanischen Sozialisten (PSC) kommen, die gespalten ist. In der PSC gibt es eine starke katalanistische Fraktion, die sich von ihrem Spitzenkandidaten Pere Navarro nicht vertreten fühlt. Viele Wähler kehren der PSC den Rücken. Umfragen gehen davon aus, dass sie von bisher 28 Sitze auf bis zu 15 abstürzen könnte. Den Sozialisten wird nach sieben Jahren (bis November 2011) an der Regierung ihr neuer Diskurs gegen den strikten Sparkurs der konservativen Volkspartei (PP) auch in Katalonien nicht abgenommen. Für sie dürfte sich das Debakel wiederholen, das sie im Oktober im Baskenland erleiden mussten.

Ein Wahlgewinner dürfte die Republikanische Linke (ERC) werden, da sie traditionell die Loslösung von Spanien fordert. Die ERC hatte schon vor Jahren eine Abstimmung für 2014 auf die Tagesordnung gesetzt. Das ist der 300. Jahrestag, als Katalonien im Rahmen des Erbfolgekriegs seine Eigenständigkeit verlor und unter spanische Herrschaft fiel. Der ERC­Spitzenkandidat Oriol Junqueras will Mas die Führung nicht streitig machen. Er kritisiert aber, dass der CiU-Chef die Frage der Unabhängigkeit mit einer absoluten Mehrheit für seine Partei verknüpft. Das sei nicht "elegant". Er verwies auch auf den bisherigen Sparkurs der CiU, in der es auch einen Flügel unter Josep Antoni Duran Lleida gäbe, "der gegen die Unabhängigkeit arbeite".

Weil die linksgrüne Initiative für Katalonien (ICV) ihre zehn Sitze behaupten dürfte, die auch für das Selbstbestimmungsrecht eintritt, und die radikalen Linksnationalisten der CUP zudem in Parlament einziehen dürften, wären dann knapp 100 Parlamentarier Befürworter für den Unabhängigkeitskurs. Die CUP tritt erstmals zu den Regionalwahlen an, ihre Vertreter sitzen bisher nur in Kommunalparlamenten. Der Journalist und Spitzenkandidat David Fernández erwartet bis zu sechs Sitze, um als "trojanisches Pferd" der einfachen Leute gegen einen "senilen Kapitalismus" eintreten zu können. Denn dabei handele es sich "um eine Maschine, die Armut produziert".

Höchstens 25 Sitze entfielen nach verschiedenen Umfragen auf die klaren Gegner dieses Kurses: bis zu 19 Sitze soll die rechte spanische Volkspartei (PP) erringen und bis zu sieben "Ciutadans" (Katalanische Bürger). Rechnet man die 17 Sitze hinzu, die der PSC höchstens zugetraut werden, die ambivalent sogar für ein Referendum wirbt, wenn es Spanien erlaubt, dann werden im zukünftigen Parlament in Barcelona gut zwei Drittel der Parlamentarier für das Selbstbestimmungsrecht eintreten.

Ein wichtiges Thema im Wahlkampf ist die ökonomische Situation. Die Katalanen sehen nicht ein, warum die Region hoch verschuldet ist, weil viele Steuermilliarden in die spanische Hauptstadt fließen. Mindestens 6% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) der strukturell unterfinanzierten Region fließen nach Spanien ab. Deshalb trägt Katalonien zwar überdurchschnittlich stark zur spanischen Wirtschaftsleistung bei, ist aber trotzdem die am höchsten verschuldete Region. Man kann sich vorstellen, was in Hessen oder Bayern los wäre. Beide erwägen eine Verfassungsklage gegen den Länderfinanzausgleich, führen aber nur 0,8 bis 0,9% des BIP über den Finanzausgleich ab.