Abenteuerspielplatz Kohlekraftwerk

Ganz Großbritannien staunt über einen wagemutigen Sabotage-Akt in Kingsnorth

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Man nennt ihn den "Klima-Mann". Dem Unbekannten ist gelungen, was viele für unmöglich hielten, ein Stück zum Staunen und Auf-die-Schenkel hauen, ein filmreifer Sabotageakt, ein Coup: Er kam aus dem Dunklen, "irgendwo aus der Richtung Seemauer", kletterte anscheinend mühelos, unter den Augen von Überwachungskameras, über zwei, drei Meter hohe Mauern, die mit Stacheldraht und Strom gesichert waren, querte den Parkplatz und schritt zu einer unverschlossenen Tür. Der Mann wusste, was er tat. Er betrat nicht den Hauptkontrollraum des Kohlekraftwerks Kingsnorth, wo zu dieser Zeit acht Personen arbeiteten, "Klima-Mann" ging zur Herzkammer des Kraftwerks, zur Turbinenhalle, wo er laut E.On an einem Gerät herumhantierte, einem Computer möglicherweise oder einer Bedienungskonsole. Das Ergebnis war jedoch eindeutig und sehr sehr laut: Der Mann crashte Unit 2, eine der "gigantischen 500-MegaWatt-Turbinen". Trotz des Lärms gelang ihm die Flucht. Seine Botschaft, die er auf einem beschriebenen Betttuch hinterließ: "No new coal".

Die Bilanz ist schillernd. Zum einen, so rechnet der Guardian, wurde das gesamte Kraftwerk durch diesen Sabotageakt für vier Stunden lahmgelegt, was die britischen CO2-Emissionen - oder was wäre sonst unter den von der Zeitung als "Klimawandel-Emissionen" bezeichneten Abgasen zu verstehen? - , um 2 Prozent reduziert haben soll. Genug Strom, so der anschauliche Vergleich, "um eine Stadt wie Bristol zu versorgen".

Zum anderen staunen laut Zeitung nicht nur die "alten Hasen", die im aktiven Widerstand gegen Umweltschädlinge tätig sind und sich in diesem Metier Meriten erworben haben, wie jene Greanpeace-Mitarbeiter, die 2007 den Kamin des Kingsnorth-Kraftwerks bestiegen haben (siehe dazu Schlappe für Kohlelobby), und andere, die Kohlezüge geentert haben, nicht nur Gleichgesinnte also, sondern auch die Sprecherin von E.On, Emily Highmore, die vom Guardian wie folgt zitiert wird:

"It was extremely odd indeed, quite creepy. We have never known anything like this at all, but it shows that if people want to do something badly enough they will find a way."

Auch der Standortverantwortliche von E.On zollte laut Zeitungsbericht Respekt für den Wagemut des "einsamen Aktivisten". Siegt hier also der britische Sportsgeist und "Respekt!" über den Ärger ob eines solch teuren und gefährlichen Sabotageakts?

"This is a different league to protesters chaining themselves to equipment. It's someone treating a power station as an adventure playground. You have to be trained to work here. People do not just wander about on their own. He could have killed himself. We do not have a problem with public protest but this was reckless. Whoever it was has crossed a line they should not have gone over. Power stations are dangerous places."

Immerhin sollen die Schutzmaßnahmen für Kingsnorth 12 Millionen Pfund teuer gewesen sein. Das Kraftwerk gilt als das am besten bewachte in Großbritannien. Man wundert sich etwas darüber, dass hier anscheinend alle dem unbekannten Künstler, der als nom de guerre vom Guardian auch "Grüner Banksy" genannt wird, huldigen.

Als ob man sich letzlich mit Forderung von "Klimawissenschaftlern oder Politikern wie Al Gore" einverstanden zeige, die laut einer früheren Meldung an dieser Stelle aus dem Sommer dieses Jahres schon länger darüber nachdenken, "weshalb es eigentlich nicht viel mehr Aktionen zivilen Ungehorsams gegen Kraftwerke und andere große Quellen von Treibhausgasen gibt. Mittlerweile wird ihr Ruf erhört. In Deutschland, Großbritannien, Australien, den USA, Neuseeland und Kanada wird es in diesem Jahr Klima-Aktions-Camps geben, mit denen gegen neue Kohlekraftwerke, Kohleabbau und andere Klima-Killer protestiert werden soll". Sitzen wir letzlich doch alle im selben Film und freuen uns über den Cool-Hand-Aktivisten? Wollen doch alle die Welt retten?

Möglich auch, dass der Guardian jene Aussagen des Betreibers E.On aus ästhetischen Gründen weggelassen hat, die vom großen Ärger über den Hausfriedensbruch erzählen. Oder wäre es auch möglich, dass der Ärger bei E.On gar nicht so groß ist, weil man viel Größeres im Auge hat? - das neue Kohlekraftwerk Kingsnorth, den gigantischen "Leviathan". Mit neuen leviathanischen Sicherheitsmaßnahmen.. Dort käme dann auch kein Held mehr vor, der "meinethalben" Klima-Mann genannt wird.

Ergänzung

Wie die britische Zeitung Telegraph berichtet, fand die Aktion am 28.November statt, zu einem Zeitpunkt, an dem landesweit "Camp for Climate Action"-Mitglieder einen zwei Tage langen Protest gegen das neue Kingsnorth-Kraftwerk abhielten. Laut Polizei habe sich bislang noch niemand zu dieser Tat bekannt. Vor allem die Aufzeichnungen der Kameras würden genau analysiert, so die E.On-Sprecherin Highmore. Deren Aussagen erscheinen im Telegraph deutlich verärgerter:

"E.On ist sowohl schockiert als auch enttäuscht, dass jemand dies getan hat. [...], dies war und ist unakzeptabel. Es spottet dem gesunden Menschenverstand, dass man glaubt, es sei einge gute Idee, sein Leben zu riskieren, indem man mit gefährlichem Gerät herumspielt. Das ist verrückt."