Rasierklingen, Whiskey, Fleisch und Ipods

Der Einzelhandel beklagt weltweit mehr Ladendiebstähle seit Ausbruch der Wirtschaftskrise

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Im Zeitraum zwischen Juli 2008 und Juni 2009 ist die Zahl der Ladendiebstähle weltweit signifikant um etwa 6 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum gestiegen, meldet der Global Retail Theft Barometer, der vom britischen Centre for Retail Research herausgegeben wird (im Auftrag der Sicherheitsfirma Checkpoint Systems Global). Demnach würde sich der Schaden durch Beutezüge im Einzelhandel und in Supermärkten im angegebenen Zeitraum auf 114,8 Milliarden Dollar (etwa 84 Milliarden Euro) belaufen; für den Berichtszeitraum zuvor hatte man 104 Milliarden Dollar an Schwund durch Diebstähle errechnet. Den größten Anstieg verzeichnen Nordamerika (8,1 Prozent), der Mittlere Osten plus Afrika (7,5 Prozent) und Europa (4,7 Prozent). In Europa führt Großbritannien die Rangliste der Ladendiebstähle an, vor Deutschland und Frankreich.

Ein Drittel des Anstiegs erklären sich die Einzelhändler laut Bericht mit der Rezession. Als auffallend wird herausgestellt, dass sich die Art des Diebstahls verändert habe wie auch die Produkte, die ohne Bezahlung mitgenommen werden. Es handle sich weniger um organisiertes Verbrecher, sondern nach ihren Beobachtungen um "Amateure", die ihren eingebüßten Lebenstandard mit Diebstahl halten wollen. Dazu komme, dass "das Versagen des Finanzsystems und die politische Klasse in vielen Ländern viele Menschen desillusioniert hat". Diese würden daraus das Gefühl entwickeln, "dass sie mehr auf ihre eigenen Interessen achten, auch in illegaler Weise, weil man kein Vertrauen mehr dazu habe, dass dies von anderer Stelle getan werde", so der federführende Verantwortliche des Berichts.

In Großbritannien werden die Zahlen - nicht untypisch - auf eine Klasse bezogen, aus der sich die neuen Ladendiebe vorwiegend rekrutieren sollen; so schreibt der Independent ohne Umschweife von der Mittelklasse, die für den Anstieg der Beutezüge in den Läden sorge. Allein die bevorzugte Produktpalette zeige an, dass es sich um Personen handele, die teuren (Marken)-Gütern zugeneigt sei: Gesichtscremes, Alkohol, erwähnt wird insbesondere Whiskey, Mobilfunkgeräte, Computerspiele, Kameras, iPods. Bemerkenswert ist, dass auch Lebensmittel wie Fleisch auf der Liste der Langfinger stehen.

Das französische Magazin Nouvel Observateur erwähnt zusätzlich Rasierklingen und Käse, letzteres Produkt verlangt von den Ladendiebe wegen der verschieden ausgeprägten olfaktorischen Nebenwirkungen auf die Taschen einen besonders sicheren Griff. Es wird im Bericht auf darauf hingewiesen, dass Angestellte und Zulieferer ebenfalls zu einem beträchtlichen Teil für "Inventurdifferenzen" verantwortlich gemacht werden (in Frankreich rechnet man damit, dass das Personal ein Drittel und die Zulieferer 7,6 Prozent der Diebstähle verüben).

Andere Motive, etwa psychische Störungen, die dazu führen, dass Krisen mit Klau kompenisiert werden, wie das etwa im Film Silentium des österreichischen Kabarettisten Josef Hader vorkommt und in der Realität vermutlich noch öfter, werden im Bericht nicht angesprochen. Angedeutet wird, wie weiter oben erwähnt, dass die Krise möglicherweise den Regelbruch erleichtert. Angesichts von Managementhandlungen, die ganze Kaufhausketten in den Bankrott führen, könnte sich das Schuldbewusstsein über den Regelbruch relativieren.

Von Seiten des auftraggebenden Sicherheitsinstituts wird beklagt, dass die Ausgaben für "Verhinderung von Diebstählen" deutlich heruntergefahren wurden.