Rechter Mord in Neukölln?

Nach zwei gewaltsamen Todesfällen in Neukölln gibt es viele Spekulationen und Kritik an der Polizei

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Der Fall Trayvon Martin in den USA hat auch in Deutschland für Diskussionen gesorgt. Der dunkelhäutige Jugendliche war von einem Mann mit weißer Hautfarbe erschossen worden. Das Mitglied einer Bürgerwehr machte Notwehr geltend, weil der mit einem Kapuzenpullover bekleidete Jugendliche über ein Nachbarschaftsgrundstück gelaufen ist. Weil der Schütze zunächst nicht festgenommen wurde, war die Empörung groß. Mittlerweile wurde gegen den Mann Anklage erhoben und er ist auch in Haft. In Deutschland, wo in der Debatte sofort eine US-Schelte laut wurde, könnte man sich jetzt dem gewaltsamen Tod eines Jugendlichen zuwenden, der durchaus Ähnlichkeiten mit dem Fall Martin hat, der sich aber im Berliner Stadtteil Neukölln zutrug.

Dort war am 4. März der 18-jährige Youssef El A. bei einem Streit nach einem Fußballspiel durch Messerstiche getötet worden. Der Täter Sven N. hatte sich nach der Tat bei der Polizei gestellt, auf Notwehr berufen und war deshalb nicht festgenommen worden. Dabei war N. schon mehrmals wegen verschiedener Delikte, darunter Körperverletzung, auffällig geworden. Daran entzündete sich schnell Kritik.

Wäre es denkbar, dass ein einschlägig polizeibekannter Jugendlicher mit arabisch klingendem Namen in Freiheit bliebe, wenn er bei einem Streit einen Ur-Neuköllner getötet hätte und sich auf Notwehr beriefe? Die Frage wird öfter gestellt. Zumal sich der getötete Jugendliche wie seine Eltern zivilgesellschaftlich im Stadtteil engagiert hatte. Die Familie wurde vom multikultureller Anwandlungen unverdächtigen Neuköllner Bürgermeister Heinz Buschkowsky als Bilderbuchfamilie bezeichnet.

Die Mutter des Getöteten kritisiert mittlerweile das Verhalten der Polizei nach dem Tod ihres Sohnes. "Ich hatte noch keinen Brief oder Besuch von der Polizei, noch kein Aktenzeichen, als im Fernsehen schon bekannt gegeben wurde, der Täter sei wieder frei", klagt sie.

Fortsetzung der NSU-Mordserie?

Die Debatte gewann an Fahrt, als auch die Eltern des in der letzten Woche erschossenen Burak B. ähnliche Vorwürfe gegen die Polizei erhoben. Auch sie gaben an, von der Polizei nicht über den Tod ihres Sohnes informiert worden zu sein. Er stand nach Zeugenberichten mit Freunden vor einem Neuköllner Krankenhaus und feierte den Antritt einer Ausbildungsstelle bei einem Autohändler, als ein noch unbekannter Mann bis auf wenige Meter an die Gruppe herantrat und schoss. B. wurde getötet, zwei weitere Jugendliche schwer verletzt. Nicht nur in türkischen Medien wird über einen rechten Hintergrund der Tat spekuliert.

Auffällig ist, dass in verschiedenen deutschen Medien sofort darauf hingewiesen wurde, dass der Tatort von Familien mit türkischem Hintergrund geprägt sei. Soll damit suggeriert werden, dass eine solche Tat damit einfacher erklärt werden kann, als wenn sie in Zehlendorf oder Charlottenburg passiert wäre?

Dann hätten die Medien aus der Debatte nach dem Bekanntwerden der NSU-Mordserie wenig gelernt. Zeitweilig gab es danach kritische Stimmen, weil bei der Polizei und in vielen Medien die Gründe für den Tod sofort bei den Opfer gesucht wurde und rechte Tatmotive gar nicht in Erwägung gezogen worden waren. Im Aufruf für eine länger vorbereiten Demonstration gegen Neonaziumtriebe in Neukölln, die heute stattfand, wurde ausführlich auf den NSU eingegangen. Das Thema ist durch den Angriff auf die Jugendlichen aktueller geworden, als die Verfasser wohl vor Monaten geahnt hatten.