Spanien fühlt sich von Merkel brüskiert

Vor dem EU-Gipfel in Brüssel warb die Bundeskanzlerin in Spanien für Lohndumping

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Mit Lob und Tadel im Rucksack war die Bundeskanzlerin am Donnerstag in die spanische Hauptstadt Madrid gereist. So erklärte Angela Merkel: "Ich glaube, dass in Spanien in der letzten Zeit ganz Großartiges geleistet wurde. Es gab wichtige Reformen, die die Zukunft Spaniens in eine bessere, wichtige und gute Richtung lenken werden." Gemeint war zum Beispiel die Rentenkürzung, die verbal aufgehübscht als Rentenreform verkauft wird. Gemeint war auch die Arbeitsmarktreform, welche den Kündigungsschutz praktisch vollständig aufgehoben hat.

Doch, und auch hier sollten Arbeitnehmer in Deutschland aufhorchen, reichen die Einschnitte der Bundeskanzlerin noch längst nicht aus. Sie stört sich auch daran, dass in Spanien die Löhne üblicherweise an die Inflationsrate gekoppelt sind. Natürlich erklärte Merkel, sie wolle sich nicht in die spanische "Lohnpolitik einmischen". Doch dann tat sie es doch und sagte: "Die Löhne steigen nicht mit der Inflation, sondern nur, wenn etwas verdient wurde und es Gewinne gibt." Schon ihre Wortwahl spricht Bände und im Klartext heißt das, Arbeitnehmer sollen weiter Kaufkraft einbüßen sollen, weil die Preise steigen. Das deutsche Lohndumpingmodell soll also auf die EU übertragen werden, was fatale Auswirkungen zeitigen wird.

Zudem warb sie in Madrid mit Lehrformeln, die in Deutschland bisher jedenfalls noch nicht zur Anwendung kamen: "Nicht mehr auszugeben, als verdient wird." Schließlich steigen auch die Schulden in Deutschland unaufhörlich, sogar trotz des "Rekordwachstums". Ihr Verweis auf die Schuldenbremse in der Verfassung, die ab 2016 wirken soll, klingt in einem Land, dessen Staatsverschuldung Ende 2009 mit gut 53% sogar 20 Prozentpunkte unter der in Deutschland lag, schon einigermaßen merkwürdig. Bis 2010 hat Spanien, anders als Deutschland, nämlich noch das Stabilitätskriterium erfüllt, wonach die Verschuldung nicht über 60% des Bruttosozialprodukts steigen darf.

Doch so erstaunlich wie Merkels Auftreten vor dem EU-Gipfel, zu dem sie am Freitag nach Brüssel weitergereist ist, waren auch Reaktionen aus der spanischen Regierung. Denn in der Öffentlichkeit gibt man sich sogar brüskiert. So verteidigte der Arbeitsminister das "spanische Modell", mit dem "man gut gefahren ist", wie Valeriano Gómez erklärte. Ohnehin ist der Lohnanstieg nur an die von der Regierung prognostizierte Inflation gebunden, weshalb die stets genug Spielraum zur Manipulation hat. Immer wieder lag ihre Prognose nicht einmal halb so hoch, wie später die Inflation real ausfiel. Es reicht aus, ins Jahr 2008 zurückzuschauen, als die Inflation auf über 5% stieg, während die Regierung 2% prognostiziert hatte.

Man reibt sich aber vor allem deshalb erstaunt die Augen, weil ja Spanien, diktiert von Brüssel und Berlin, 2010 sogar die Löhne der Staatsbediensteten um durchschnittlich 5% per Dekret gesenkt hat. Diese Sparmaßnahmen führen erwartungsgemäß dazu, dass das Land nach zwei Jahren in tiefer Rezession, die sie 2010 gerade verlassen hatte, wieder in die Rezession zurückfällt. In zwei Quartalen wurde 2010 ein Minimalwachstum verzeichnet, im dritten Quartal herrschte schon wieder Stagnation und schrumpfte wie erwartet die Wirtschaft schon wieder. Die spanische Zentralbank rechnete heute vor, dass die Wirtschaft 2010 um insgesamt 0,1% geschrumpft ist.

Das Land hat sich nun definitiv auf den Weg Griechenlands gemacht, das in der Rezession versinkt. Doch die Regierung wertet sogar dieses Signal als positiv, weil man noch schlimmere Werte erwartet hatte. Angesichts der weiter sinkenden Wirtschaftsleistung darf man sich eben auch nicht wundern, wenn auch die Arbeitslosigkeit ständig weiter steigt. Schon fast 21% der aktiven Bevölkerung sind ohne Job und fast jeder zweite Jugendliche hat keine Stelle.

Madrid ist, auch wenn empört getan wird, längst über das hinausgegangen, was Merkel nun fordert. Sie will nur, dass das auch langfristig so bleibt. Denn die Löhne wurden nicht nur gekürzt, sondern zudem auch für mehrere Jahre eingefroren, womit ebenfalls gegen geltende Gesetze verstoßen wird. Mit all dem hat ausgerechnet eine Regierung geltende Tarifverträge gebrochen, die das Wort "sozialistisch" im Namen führt. All dies führte letztlich mit der Arbeitsmarktreform zum Generalstreik. Ob diese Maßnahmen durchgehen, darüber müssen ohnehin noch die höchsten Gerichte des Landes entscheiden.

So dürfte es bei der zur Schau gestellten Empörung eher darum gehen, die Gewerkschaften zu beruhigen, die ebenfalls wie getroffene Hunde aufgejault haben. Der Chef der großen Arbeiterkommissionen, Ignacio Fernández Toxo, sprach von einem "schweren Fehler", die Löhne von der Inflation abzukoppeln. "Spanien hat wenig von anderen zu lernen", fügte er an. Das klingt angesichts der schweren Misere im Land allerdings ebenfalls ziemlich absurd.

Doch damit wollen auch die beiden großen Gewerkschaften verkleistern, dass sie in dieser Woche umgefallen sind, als sie einen Sozialpakt verabschiedet haben. Darin haben sie die von ihnen selbst gesetzte die "Rote Linie" überschritten und die Rente mit 67 abgenickt und als Dreingabe die Unternehmer für die Schaffung neuer Stellen von Zahlungen in die Sozialversicherung befreit. Weil Ministerpräsident José Luis Rodriguez Zapatero sie nun wohl ohnehin nicht mehr ernst nehmen dürfte, nachdem sie deshalb noch im Dezember mit einen neuen Generalstreik gedroht hatten, wird er gegenüber Merkels Forderungen wohl eifrig genickt haben. Nach seiner Rückkehr aus Brüssel wird er sich dann in Madrid an die Arbeit machen, um den Gewerkschaften weiter die Flügel zu stutzen. Und er wird beginnen, das umzusetzen, was ihm diesmal von Merkel, Sarkozy und anderen Konservativen beim EU-Gipfel in Brüssel diktiert wird.