ILO: Niedriglohnpolitik Deutschlands als Ursache für Krise in der Euro-Zone

Die Internationalen Arbeitsorganisation fordert weltweit mehr Engagement zur Schaffung von anständigen Arbeitsplätzen

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Weltweit müssen in den nächsten zehn Jahren 600 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen werden, dringend. Das steht so im neuen Jahresbericht der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Sollte dies nicht gelingen, sei nicht nur ein nachhaltiges Wachstum gefährdet, sondern auch der soziale Zusammenhalt. 200 Millionen Menschen sind derzeit weltweit ohne Job (27 Millionen mehr als vor Ausbruch der Finanzkrise), rechnet man den Zuwachs des Arbeitskräftepotenzials um geschätzte 40 Millionen pro Jahr dazu, so ergibt das die genannte Summe. Dieser stellt die ILO noch eine weitere große Zahl hinzu: 900 Millionen, die zwar Arbeit haben, aber so wenig verdienen, dass sie mit ihren Familien unter der Armutsgrenze von 2 Dollar am Tag durchkommen müssen.

Das sind sehr große Zahlen, die durch ihre Dimension beeindrucken, aber darüber hinaus nicht sehr viel mehr hergeben. So wird ihre Aussagekraft in Trends eingebettet, welche die ILO beobachtet. Manche dieser Trends ziehen sich über Jahre fort, wie etwa die steigende Jugendarbeitslosigkeit, welche eine besonderer Sorge der Organisation darstellt. Sie ist seit 2007 weltweit um 4 Millionen gestiegen, heißt es im aktuellen Bericht. Die Zahl wird deutlicher, wenn sie in Vergleich mit anderen gestellt wird: "Youths are three times as likely to end up unemployed as adults."

Der Bericht betont, dass die Arbeitslosenzahl der Jüngeren bislang nicht mehr das niedrigere Niveau vor Ausbruch der großen Wirtschaftskrise 2008 erreicht hat. Vermerkt wird auch, dass sich unter den Working Poor, den Arbeitern, deren Entlohnung kaum zum Überleben reicht, in den Entwicklungsländern disproportional viele junge Menschen befinden. Die Aussichten, dass sich in nächster Zukunft an den schlechten Aussichten für junge Arbeitssuchende substantiell etwas ändere, sind schlecht, so die ILO. Umso größer ist die Sorgen, dass dies zu sozialen Unruhen führen kann.

Das Phänomen, wonach, trotz zwischenzeitlicher Besserung der Weltwirtschaft, allgemein die Beschäftigungszahlen und Arbeitsverhältnisse vor der Krise nicht mehr erreicht wurden und dies angesichts einer prognostizierten nächsten weltweit spürbaren Rezession ist der rote Faden, der den gesamten Bericht durchzieht. Die Weltwirtschaft habe ihre Fähigkeit, neue Jobs zu schaffen, wesentlich reduziert. Selbst optimistische Szenarien würden vorhersagen, dass die weltweite Beschäftigungsquote in den nächsten Jahren nicht mehr das Niveau vor der Krise erreicht. Dem fügt die ILO noch die Beobachtung hinzu, wonach die Zahl der Beschäftigten in prekären Jobs seit 2009 ansteigt.

Nötig sei ein Zuwachs an "decent work", an Arbeitsplätzen, die - frei übersetzt - den Lebensunterhalt auf anständige Weise sichern, fordert die Internationale Arbeitsorganisation. In diesem Zusammenhang ist in ihrem Bericht deutliche Kritik am "deutschen Modell" zu lesen. Die ist zwar in der Zusammenfassung der Ergebnisse nicht zu finden, taucht aber dafür heute in vielen französischen Medien auf, die sich in den letzten Wochen oft mit dem wirtschaftlich erfolgreichen Nachbarland auseinander setzen mussten.

So zitiert Le Monde aus dem ILO-Bericht die Diagnose, dass die strukturelle Krise in der Eurozone mit der Niedriglohnpolitik Deutschlands, die mit dem SPD-Kanzler Schröder eingeführt wurde, ursächlich verknüpft sei. Die im Verhältnis zu anderen Ländern geringeren Arbeitskosten hätten der deutschen Industrie Wettbewerbsvorteile beim Export verschafft, der die Wirtschaft und die Haushalte der anderen Euro-Länder stark unter Druck gesetzt habe, ohne die Möglichkeit, die Schwäche der Binnennachfrage durch den Export nach Deutschland zu kompensieren, wird die ILO-Kritik von der Zeitung wiedergegeben:

"Die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Exporteure wird immer mehr als strukturelle Ursache der kürzlichen Schwierigkeiten in der Eurozone ausgemacht."