Spanien kündigt Defizitziel auf

Rajoy unterzeichnet den Fiskalpakt und kündigt kurz danach an, die Ziele nicht einzuhalten

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Dass der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy die Defizitziele aufweichen wollte, hatte er vor dem EU-Gipfel sehr deutlich gemacht. Doch beim Gipfel waren seine konservativen Freunde auch ihm gegenüber nicht geneigt, von den vereinbarten Zielen auch nur "Zehntelpunkte" abzuweichen, ohne dass Rajoy einen Haushalt für 2012 vorgelegt. Denn erst aus dem würde hervorgehen, ob das Haushaltsdefizit 2011 tatsächlich 8,5% oder sogar noch höher ausgefallen ist.

Und plötzlich war auch vom Wahlversprechen nichts mehr zu hören, das der Konservative sonst ständig als Begründung für seine Sparpläne anführt, das Defizit im laufenden Jahr auf 4,4% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu senken. Damit hatte er auch gerechtfertigt, gegen alle Wahlversprechen die Steuern massiv zu erhöhen. Doch zunächst unterzeichnete Rajoy in Brüssel den Fiskalpakt, den Bundeskanzlerin Angela Merkel der Union aufgezwungen hat, um die Mitgliedsstaaten zur Haushaltsdisziplin zu verpflichten. Doch kurz darauf kündigte der spanische Ministerpräsident noch in Brüssel an, schlicht auf die vereinbarten Ziele zu pfeifen. Seine Regierung werde das Defizit im laufenden Jahr nur auf 5,8% senken.

Da Rajoy im Wahlkampf ist -er will am 25. März den Sozialisten auch noch die letzte Hochburg Andalusien bei den Regionalwahlen abnehmen -, will er nicht vor den Wahlen neue harte Sparmaßnahmen ankündigen. Denn um das Sparziel zu erfüllen, müsste er weitere 40 Milliarden Euro einsparen. Also spielt er den stolzen Spanier und mobilisiert dafür den Nationalismus. Sein Vorhaben habe er mit niemandem auf dem Gipfel abgestimmt, bekräftigte er. "Ich habe niemanden zu fragen. Dies ist eine souveräne Entscheidung Spaniens." Die Kommission werde im "April" informiert. Damit versetzt er aus wahltaktischen Gründen auch Brüssel einen Schlag, denn er hatte versprochen, noch im März einen Haushalt vorzulegen.

In Berlin dürfte Merkel verärgert über den Alleingang sein und um sie zu beruhigen, zeigte er sich davon überzeugt, dass das eigentliche Ziel unangetastet bleibe. Ende 2013 werde Spanien das Defizit auf 3% senken. Dasa Rajoy die geplanten 5,8% einhalten kann, ist freilich unwahrscheinlich. Man muss sich nur anschauen, wie das Defizit trotz erheblicher Sparanstrengungen bisher nur mäßig reduziert werden konnte. Rajoys sozialistischer Vorgänger hatte das enorme Defizit vom Höchststand 2009 (11,2%) im Jahr darauf nur auf 9,3% und schließlich 2011 auf mindestens noch hohe 8,5% gesenkt.

Vor allem hatten es die Konservativen den Sozialisten verhagelt, das Defizit den geplanten 6% auch nur annähern zu können. Die Regionen, die fast ausschließlich von Rajoys Volkspartei (PP) regiert oder mitregiert werden, hielten sich nicht an die Sparvorhaben. In Regionen wie Valencia, eine PP-Hochburg, ist die Lage bereits fatal, sie ist wie andere Regionen praktisch pleite. Nun muss Rajoy in Madrid bis zu 50 Milliarden locker machen. Damit werden ausstehende Rechnungen der Regionen und Städte bezahlt, die sich zum Teil seit mehr als zwei Jahren in den Schubladen stapeln. Madrid hat am Freitag schon 35 Milliarden Euro freigemacht, um doch noch vor den Wahlen in Andalusien und Asturien am 25.März zahlen zu können. Damit wird es noch schwieriger, das Defizitziel einzuhalten und deshalb versucht Rajoy die Flucht nach vorne.

Angesichts des Affronts hält sich der Entrüstungssturm aus Berlin und Brüssel allerdings bisher in Grenzen. Der Sprecher von Währungskommissar Olli Rehn ließ verlauten, es sei "wichtig für das Vertrauen", dass Spanien die Defizitziele erfülle. Amadeu Altafaj sagte, "die Position der Kommission hat sich nicht verändert, Staaten wie Spanien, die durch die Finanzmärkte verwundbar sind, müssen die Defizitziele einhalten".

Ratspräsident Herman Van Rompuy warnte lediglich, Spanien könne am Anleihemarkt abgestraft werden. Tatsächlich sind die Risikoaufschläge für zehnjährige spanische Staatsanleihen sofort gestiegen. Mit einem Aufschlag von 310 Basispunkten (3.1%) gegenüber Bundesanleihen hat Spanien nun wieder zu Italien aufgeschlossen. Im vergangenen August hatte Italien erstmals Spanien überholt, seitdem lagen die Zinsaufschläge für Rom zum Teil deutlich über denen für Madrid.

Dieser Trend dreht sich nun wieder um, weil Italien anders als Spanien das Defizit 2011 sogar stärker als erwartet gesenkt hat. Statt 4% sollen es nur 3,9% gewesen sein. Ohnehin war es im Vergleich zu Spanien 2010 mit 4,6% vergleichsweise niedrig. Dazu hat Italien nicht extreme Zahlen am Arbeitsmarkt zu verkraften, die in Spanien den dramatischen Absturz der Wirtschaft zeigen.

Gerade hatte Eurostat am Donnerstag die Quote für Spanien im Januar auf 23,3 Prozent beziffert, in Italien waren es 9,2%) wurde am Freitag bekannt, dass im Februar erneut gut 113.000 Menschen in Spanien arbeitslos wurden. Mehr als 50% aller jungen Menschen unter 25 sind in Spanien nun arbeitslos und 1,7 Millionen Menschen erhalten keinerlei Unterstützung mehr. Die Regierung rechnet sogar offiziell damit, dass 2012 weitere 630.000 Menschen ihren Job verlieren, auch wenn nicht wie von Brüssel gefordert auf die Sparbremse getreten wird. Damit wären in einem Land fast 6 Millionen Menschen ohne Job, dabei hat Spanien nur gut die Hälfte der Bevölkerung Deutschlands.