Reif für Feindseligkeiten?

Die Spannungen zwischen den rivalisierenden Mächten in der Asien-Pazifik-Region nehmen zu. Der jüngste nordkoreanische Raketentest und der Streit um drei Inseln im Ostchinesischen Meer beweisen das

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Mitte der Woche hat Nordkorea überraschend eine neue Langstreckenrakete getestet - gut eine Woche vor dem Jahrestag des Todes von Kim Jong-il, dem Vater des derzeitigen Führers Kim Jong-un; und ein paar Tage, bevor sowohl in Südkorea als auch in Japan die dortigen Wähler zu den Urnen schreiten, um neue Parlamente zu wählen.

Und das schon zum zweiten Mal in diesem Jahr und trotz vielfältiger Warnungen aus dem Ausland. Sowohl die UN als auch die USA und die Anrainerstaaten Japan und Südkorea protestierten dagegen heftig. Vergeblich, aber mit Recht. Zumal es sich um die Verletzung einer UN-Resolution aus dem Jahr 2009 handelt, der dem "Paria-Staat" derartige Raketentests untersagt, und das Land mit einem solchen Trägersystem jeden Staat auf der Erde erreichen könnte.

Ob der Test tatsächlich erfolgreich war, und ob die Trägerrakete auch dazu geeignet ist, Atomsprengkörper zu transportieren, wie vermutet, ist unter Experten noch umstritten. Auswertungen südkoreanischer Militärbeobachter zeigen aber, dass die erste und zweite Stufe der Rakete erfolgreich abgetrennt wurde und die Rakete auch die geplante Flugbahn einhielt. Aus Pjöngjang verlautete dazu nur lapidar: Die Rakete habe einen Satelliten ins All befördert, der die angepeilte Erdumlaufbahn auch erreicht habe. Der Abschuss diene ausschließlich friedlichen Zwecken. Darüber hinaus hüllte sich die Führung des Landes in Schweigen.

Hotspot der Erde

Schlagartig wird angesichts dieser neuerlichen Provokation ein militärpolitisches Szenario offenkundig, das einige US-Strategen bereits vor fast zwei Dekaden an die Wand gemalt haben. Der asiatisch-pazifische Raum könnte bald reif für feindselige Aktivitäten ( vgl. Ripe for Rivalry) unter Anrainern und/oder Großmächten sein.

Dieser Studie zufolge treffen in dieser Region nämlich rivalisierende Mächten aufeinander, die von nationalistischen Gefühlen und historischen Animositäten geleitet werden, militärisch aufrüsten und sich eines wachsenden Energiebedarfs erfreuen. Diese Kombination ergäbe eine gefährliche und möglicherweise sogar hochexplosive Mischung, die diesen Raum zu einem "Hotspot" gewalttätiger Auseinandersetzungen und Konflikte mache.

Aaron Friedberg, der in Princeton internationale Sicherheit lehrt und diesen Bericht mit Hilfe anderer angefertigt hat, schrieb dazu bereits im Winter 1993 noch mit Blick auf die Ereignisse auf dem Balkan: "Bürgerkriege und ethnische Konflikte werden möglicherweise eine Zeitlang die europäische Peripherie in Atem halten. Auf lange Sicht wird aber Asien zum wahrscheinlichen Konfliktherd der Großmächte werden." Asien sei schließlich Lokomotive des weltweiten Wirtschaftswachstums. Dadurch verlören nicht nur Millionen von Menschen ihre Armut, das regionale Gleichgewicht der Mächte gerate dadurch auch aus den Fugen.

Spannungen wachsen

Und in der Tat scheint sich aktuell zu bestätigen, was diese Experten damals vorausgesagt haben. Die Spannungen zwischen China und Japan, befeuert von historischen Ansprüchen, nationalistischen Ressentiments und territorialen Ansprüchen, nehmen zu und haben sich zu den heftigsten seit Ende von WK II ausgewachsen. Seit Japan im September drei unbewohnte Inseln von einem japanischen Privatmann im Ostchinesischen Meer für rund zwanzig Millionen Euro erworben hat, auf die China seinerseits territorialen Anspruch erhebt und die geografisch deutlich näher bei China liegen als bei Japan, eskaliert der Streit.

Chinesische Aktivisten landeten danach auf eine der Inseln, während japanische Nationalisten auf dem Archipel freudig die aufgehende Sonne hissten. Tausende Chinesen protestierten, auch gewaltsam, daraufhin vor der japanischen Botschaft und/oder boykottierten japanische Waren und Produkte. Mittlerweile kreuzt eine Vielzahl von Schiffen vor den Inseln, die Japan Senkaku nennt, und provoziert bewusst die Gegenseite. Ein Konflikt, der aus dem Ruder läuft, kann seitdem nicht mehr völlig ausgeschlossen werden.

Erst am Donnerstag, mithin drei Tage vor den Wahlen zum japanischen Parlament, verletzte ein chinesisches Flugzeug den Luftraum über den Inseln, die für Chinesen Diaoyu heißen. Acht japanische F-15 stiegen sofort auf, um das Flugzeug abzudrängen. Japanischen Angaben zufolge war dieser Vorfall das erste Mal seit 1958, dass ein derartiges Flugzeug den Luftraum nicht bloß tangiert, sondern unmittelbar in ihn eingedrungen ist. Ein chinesischer Sprecher wiederum nannte den Flug dagegen "vollig normal", insofern das Land die "Staatshoheit" über das Gebiet besitze.

Auch unter Anrainern

Doch nicht nur China und Japan liegen in Streit, auch US-amerikanische Bündnispartner zanken sich immer öfter mit- und untereinander. So gibt es etwa riesigen Dissens zwischen Japan und Südkorea wegen einiger unbedeutender und marginaler Inseln im Ostchinesischen Meer. Historische Feindschaften, die noch aus der Besetzung Koreas durch Japan stammen, verunmöglichten bislang Sicherheitspartnerschaften oder ähnliche Abkommen.

Und eine wahrscheinliche Rückkehr des nationalistisch gesinnten Erzkonservativen Shinzo Abe von der LDP auf den Premierministerstuhl würde vermutlich nicht unbedingt mäßigend auf die derzeit von Spannungen erfüllten Beziehungen wirken, sondern eine "härtere Gangart" in den Außenbeziehungen nach sich ziehen. Der Status quo zwischen China, Südkorea und Japan könnte dadurch möglicherweise auf irreparable Art und Weise gestört werden.

Moderierender Störenfried

Aber auch die neue "Pivot-Politik" der Obama-Adminstration, die den geopolitischen Schwerpunkt von Europa und dem Mittleren Osten nach Fernost verlagert, um den Aufstieg Chinas zu "moderieren", trägt wenig zur Entspannung der Lage Raum bei. Auch wenn das von den US-Verantwortlichen bislang stark dementiert wird, belastet diese Politik des Containments die Beziehungen zum "Reich der Mitte" sehr, vor allem, weil sie die Rivalität der beiden Mächte in Südostasien verschärft und beide versucht, Staaten der Region auf ihre Seite zu ziehen.

Zwar haben die USA bislang nicht klar Position im Inselstreit bezogen. Noch begnügen sie sich mit der Rolle des Beobachters, unterstützen aber jederzeit den japanischen Anspruch auf die Inseln. Doch der Disput zwischen der zweit- und drittgrößten Wirtschaftmacht, der irgendwie an die Kampfhandlungen zwischen Spanien und Marokko um die Isla del Perejil vor zehn Jahren erinnert, aber auch und vor allem an jene Umstände, die vor gut dreißig Jahren zum Falklandkrieg geführt haben, ist von großer überregionaler Bedeutung. Er trägt alle möglichen Folgen in sich, die die Welt nachhaltig erschüttern könnte.

Sollte China nämlich Japan deswegen angreifen, dann würden die USA ihren Bündnisverpflichtungen, der im Vertrag über beidseitige Kooperation und Sicherheit festgelegt ist, nachkommen. "Diese Warnung sollte China beherzigen", schrieb ein Kommentator des Australian noch vor Tagen. Für den Aufsteiger des Jahrhunderts wiederum könnte das eine willkommene Gelegenheit sein, mal anzutesten, wie stark das "Eskalationsniveau" und/oder "Nervenkostüm" der Obama-Administration und ihrer Verbündeter ist.

Schauplatz der Geschichte

Der Abschuss einer nordkoreanischen Interkontinentalrakete sowie der dortige Wille, diese Technologie nicht nur zu entwickeln, sondern auch zu beherrschen, hat jedenfalls all diese verdeckten und versteckten Konflikte und Animositäten unter den asiatischen Staaten, Völkern und Ethnien erneut in den Blickpunkt gerückt. Durch die Eurokrise und die Diskussion um Fiskalpakt und Transferunion, sowie die darauf folgenden Nabelschauen ist dieser problematische Raum hierzulande völlig aus dem Blickfeld geraten.

Zumal dieser Raketentest die Souveränität aller Anrainer und darüber hinaus bedroht. Gelingt es nicht, die nordkoreanische Führung zum Einlenken zu bewegen, wird das dazu führen, dass ein heißer Rüstungswettlauf auch in dieser Region stattfinden wird. Japan wird sein Raketenabwehrsystem massiv ausbauen; die USA werden ihre Verbündeten, vor allem die Philippinen, zu weiteren militärischen Anstrengungen drängen, was wiederum China weiter erzürnen und zu neuen Militärausgaben bewegen wird. Die Geschichte rivalisierender Mächte um Ressourcen, Räume und Einflusszonen ist jedenfalls nicht zu Ende. Sie beginnt sich nur einen neuen Schauplatz zu suchen.