Türkischer Regierungschef sieht hinter den Protesten ausländische Akteure

Erdogan verhält sich zunehmend verbohrt wie ein Despot und reklamiert den "Türkischen Frühling" für sich

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Immer stärker fällt der türkische Regierungschef der islamisch-konservativen AKP in das altbekannte Reflexmuster der Herrschenden, das in letzter Zeit besonders eklatant im Nahen Osten während des Arabischen Frühlings zu beobachten war. Gibt es Proteste, dann hat dies nichts mit dem eigenen Volk zu tun, sondern dann werden sie von außen gesteuert. Just so agiert auch Erdogans Kontrahent Assad im benachbarten Syrien.

Anstatt auf den Inhalt der Proteste einzugehen, verhält sich der machtverwöhnte Erdogan zunehmend wie ein Despot, auch wenn er sich selbst erst am Sonntag als Diener des Volks bezeichnet hat. So hat er nun den türkischen Geheimdienst beauftragt, wie er auf einer Pressekonferenz erklärte, nach möglichen Verbindungen zwischen den Vorfällen am Taksim-Platz und ausländischen Mächten zu suchen. Nach ihm werden die Proteste, die nun schon landesweit stattfinden, auch von ausländischen Akteuren unterstützt. Verschwörerisch sagte er weiter, es sei nicht möglich, deren Namen zu offenbaren: "Aber wir werden uns mit deren Führern treffen."

Überdies forderte er, dass erst einmal diejenigen Regierungen sich selbst mäßigen sollten, die seine Regierung zur Mäßigung raten. Allerdings hatte auch bereits Präsident Gül die Regierung und die Polizei zur Zurückhaltung aufgefordert, was einen Riss innerhalb der AKP vermuten lässt. Gül rief auch heute noch einmal zur Mäßigung und zur Achtung der Meinungsfreiheit auf: Demokratie gebe es nicht nur bei den Wahlen, sagte er in Richtung Erdogan. Allerdings warnte auch er davor, dass sich "illegale Organisationen" einmischen könnten.

Für Erdogan gibt es im Land sowieso schon einen "Türkischen Frühling", den er aber nicht politisch sehen möchte, sondern nur als das von ihm beförderte Wirtschaftswachstum. Das habe zu einer Verbesserung des Pro-Kopf-Einkommens geführt und manche neidisch gemacht. Just im ungezügelten Wirtschaftswachstum, das auch hinter dem Plan steht, auf dem Gezim-Park mit seinen Bäumen ein Einkaufszentrum zu errichten, könnte aber auch ein Grund für die Proteste liegen. Sie gehen in Istanbul nach einem kurzen Abflauen mit Härte weiter. Die Demonstranten haben inzwischen eine Moschee in eine Art Lazarett zur Behandlung der Verwundeten verwandelt.

Amnesty verurteilt die "exzessive Gewalt" der Polizei und Misshandlungen bei der Festnahme und in der Haft. Mehr als tausend Menschen seien bereits verletzt worden, zwei Personen seien während der Proteste ums Leben gekommen.