"Der Gedanke, dass sich etwas ändern könnte, ist nicht mehr denkbar"

Die französischen Reichtumsforscher Michel und Monique Pinçon-Charlot beobachten eine Politik der Gewalt gegenüber den Ärmeren, die zunehmend als Staatsfeinde geschildert würden

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Das Klima zwischen den Reichen und den ärmeren Schichten in Frankreich wird aggressiver. Das ist an sich keine neue Beobachtung; interessant ist sie, weil sie von einem französischen Soziologenpaar, Michel und Monique Pinçon-Charlot, dargelegt wird, die seit mehreren Jahrzehnten das Milieu der Oberklasse untersuchen. Bislang taten sie dies zwar in einer kritischen Weise - beide kommen aus dem linken politischen Spektrum, verabschiedeten sich aber wie viele andere vom Marxismus.

Doch war ihre Kritik in den letzten Jahren nicht durch Bissigkeit gezeichnet, kein Schwarz-Kontrast, sondern von Offenheit für bestimmte Funktionsweisen getragen (vgl. "Die Oberschicht ist die einzige Klasse, die noch wirklich kollektiv und solidarisch funktioniert"). Der Zugang zur verschlossenen Welt der sehr Reichen war mit einer rein ablehnenden Haltung nicht zu haben. Das Paar stellte das Allzumenschliche fest, dass einige aus dieser Welt auch Freunde sein könnten.

Nun haben die beiden Soziologen einen Kurswechsel vollzogen. Sie sind deutlich aggressiver in ihrer Kritik geworden und führen dies auf eine Notwendigkeit zurück, die der „Gewalt der Reichen“ entstammt, wie sie in einem Interview mit der Zeitung Libération äußern.

Die Herrschaftssystem der reichen Oligarchen ist in der Auffassung von Michel und Monique Pinçon-Charlot deutlich mehr von Gewalt geprägt, ökonomischer und ideologischer Art. Die ökonomische Gewalt ist nach den Anschaungen der Soziologen ein Instrument geworden, das , wie die Religion, mit Psychopolitik operiert - mit existenzieller Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes und dem Entzug der sozialen Anerkennung. Begleitet werde die "Dominanzmechanik" mit einer Herabsetzung der Stimmen, die aus den unteren Schichten kommen.

Die Ärmeren würden mit einem Sprachgebrauch, der über Medien, PR-Agenturen, Reden, Prospekten, Werbung etc. verbreitet wird, zunehmend als "innere Feinde" beschrieben. Ständig würde vermittelt, dass den Armen wird immerzu Händchen gehalten wird, dass sie Betrüger seien, Schmarotzer, dass sie zu teuer seien. Währenddessen frage keiner mehr danach, woher das Vermögen der Reichen komme. Kritik sei erfolgreich abgeschnürt worden. Man verurteile und entwerte alles, was mit "populär" zu tun habe und subsummiere jede Kritik an finanziellen Verhältnissen unter dem Rubrum "populistisch" und disqualifiziere sie damit. Indessen Vermögen und Status der Reichen als "natürlich" gegeben dargestellt und behandelt würden.

Die Reichen würden in der öffentlichen Darstellung zu Wohltätern, die Ärmeren, Angestellte oder Arbeiter, zu öffentlichen Lasten. Die öffentliche Sprache würde großflächig korrumpiert, wofür die Soziologen einige Beispiele aus der Arbeitswelt wie "flexisécurité" anführen. So sei das kritische Denken etwa aus Fernsehsendern und Nachrichten verschwunden. Die Idee, dass sich etwas ändern könnte, auch ("L’idée même de changement n’est plus pensable"). Es bleibe nur der Konsum.