Apokalypse Kirchentag

Am 1. Mai geriet im Hamburger Hafen ein Containerschiff in Brand - beladen mit mehr als 20 t radioaktivem Material

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Für gewöhnlich wird einiges geboten am 1. Mai in der Hansestadt: am Vormittag die Mai-Demo des DGB, nachmittags der Euro-Mayday, ein alternativ-politischer Mai-Umzug, und am frühen Abend die so genannte "revolutionäre 1. Mai-Demo" mit den üblichen Zusammenstößen der beiden schwarzen Blöcke im Schanzenviertel. In diesem Jahr wurde das noch getoppt durch den Beginn des Kirchentags am Nachmittag, zu dem 100.000 Menschen aus nah und fern erwartet wurden. Etwa 35.000 Menschen sollen an dem ersten Tag an den Abendgebeten im Rahmen des Veranstaltungsprogramms teilgenommen haben, darunter auch Bundespräsident Joachim Gauck. Ein Fest der Freude und des Miteinanders sollte es werden – doch fast wäre dieser Tag für Hunderttausende – darunter auch zahlreiche Kirchentagsbesucher – tragisch, wenn nicht tödlich geendet.

Mitten im Hamburger Hafen, in Sichtweite von einem der Hauptschauplätze des Kirchentags in der Hafen City, geriet am Abend das Containerschiff "Atlantic Cartier" der Reederei Atlantic Container Line (ACL) in Brand. Mehr als 15 Stunden waren knapp 300 Feuerwehrleute, 9 Boote und ein Löschroboter im Einsatz, um das Feuer unter Kontrolle zu bekommen.

Wie erst vergangenen Donnerstag durch eine Kleine Anfrage der Bürgerschaftsfraktion der Grün-Alternativen-Liste (GAL) bekannt wurde, hatte die "Atlantic Cartier" mehr als 20 t radioaktives Material plus 3,8 t Munition an Bord. Ein nettes Feuerwerk hätte das gegeben, wenn die Feuerwehr nicht allen widrigen Umständen und ohne ernsthaften Schutz das Feuer in den Griff gekriegt hätte. Ganz nebenbei wären knapp 9 t Uranhexafluorid (UF 6) in die Luft gegangen, die in Verbindung mit Wasser, Luftfeuchte reicht schon aus, hoch toxisch wird.

"Bei der Freisetzung von Uranhexafluorid z. B. durch einen Verkehrsunfall oder eine Schiffshavarie, bilden sich durch die Verbindung mit der Luftfeuchtigkeit giftige Fluorverbindungen, die schwere Verletzungen der Atemwege verursachen. Je nach Witterungsbedingungen könnten bis in ca.600 Metern Entfernung von Unfallort tödliche Konzentrationen auftreten", erläuterte Fritz Storim, Physiker bei der atomkritischen Messstelle für Arbeits- und Umweltschutz (MAUS) Bremen, gegenüber Telepolis.

Diese Sicht teilt laut NDR auch der Präsident der Bundesärztekammer, Dr. Frank-Ulrich Montgomery: Ihm grause bei dem Gedanken, dass auf der Elbe "vor unserer Haustür" Container mit radioaktiven Stoffen vorbeifahren, sagte dieser im Gespräch mit NDR 90,3. Besonders Uranhexaflurid sei eine brisante Fracht und besonders schädlich für Menschen.

Eine Katastrophe ist gerade noch verhindert und anschließend vertuscht worden. Nur durch die schriftliche Kleine Anfrage der GAL kam die Wahrheit ans Licht. Die Fraktion zeigt sich entsetzt und empört.

Dabei ist eine Mitverantwortung an dieser Beinahe-Katastrophe nicht von der Hand zu weisen. Bis zur Bürgerschaftswahl am 20. Februar 2011 bekleidete die Grüne Anja Hajduk das Amt als Umweltsenatorin. Dieses hätte sie nutzen und den Hafen für Atomtransporte entwidmen können, wie es von Umweltinitiativen und der Fraktion der Linkspartei gefordert wurde. Als Bremens Bürgermeister Jens Börnsen (SPD) 2009 einen Atomtransport von Sellafield nach Grohnde verweigerte, ließ die grüne Umweltsenatorin in Hamburg die Chance indes ungenutzt, es den Bremern gleichzutun.

Laut der regelmäßigen schriftlichen Kleinen Anfrage der Bürgerschaftsfraktion DIE LINKE an den Hamburger Senat ist davon auszugehen, dass quasi täglich radioaktives Material durch die Stadt gekarrt wird, zu Lande, auf den Schienen und zu Wasser. Natürlich nicht immer in diesem Umfang radioaktives und hoch toxisches Material, z. T. handelt es sich auch schlicht um medizinischen radioaktiven Abfall mit geringer Strahlung, verbunden mit kaum nennenswerten Gefahren für Mensch und Umwelt durch den Transport. Allerdings ist auf NDR.de die Rede davon, dass durchschnittlich immerhin zwei Mal pro Woche hoch radioaktives Material im Hamburger Hafen umgeschlagen werde.