Fall Wulff: Ohrfeige für Staatsanwaltschaft Hannover

Oberstaatsanwalt Hans-Jürgen Lendeckel zu Telepolis: "Die rechtliche Bewertung ist eine fragile Konstruktion"

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Nicht ohne Stolz veröffentliche die Staatsanwaltschaft Hannover heute eine dünne Pressemiteilung , wonach durch ihre Aktivität endlich eine Anklageerhebung gegen Christian Wulff erfolgen konnte. Da Wulff es abgelehnt hatte, mit einer Zahlung von 10.000 Euro das Gesicht der Staatsanwaltschaft zu wahren, "musste" es, so steht es in der Mitteilung, zu einer öffentlichen Anklage kommen.

Das Landgericht Hannover, das heute die Anklage gegen Wulff und dessen angeblichen Förderer David Groenewold bestätigte, mochte Wulff aber nicht wegen Bestechlichkeit, sondern nur wegen Vorteilsnahme angeklagt wissen.

Gegenüber Telepolis spielte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Kathrin Söfker, diese Reaktion herunter. Der Tatverdacht gegen Wulff sei "hinreichend", das Gericht nähme aber eine "andere rechtliche Bewertung" vor. Es handle sich hier nur um ein Zwischenverfahren. Erst in der Hauptverhandlung, so Söfker, werde die Anklage umfassend bewertet.

Dabei ist die Begründung des Gerichts eine Ohrfeige für die Staatsanwaltschaft, die mit Hausdurchsuchungen und der Sichtung tausender Dokumente wesentlich zum Sturz Wulffs beigetragen hatte. Nur noch der Oktoberfestbesuch des damaligen Ministerpräsidenten, bei dem kleine Teile der Kosten von Groenewold übernommen wurden, wird Wulff vorgeworfen.

Sprecherin Söfker verwies gegenüber Telepolis für weitere Details an den Oberstaatsanwalt Hans-Jürgen Lendeckel. Gegenüber Telepolis wollte Lendeckel zunächst mit der Begründung nichts sagen, dass er nur mit Journalisten spräche, die einen gültigen Presseausweis vorzeigen. Im Gespräch räumte er dann ein: "Die rechtliche Bewertung ist eine fragile Konstruktion." Offensichtlich aber ausreichend für die Erhebung einer Anklage und damit der Verursachung vermutlich sechsstelliger Kosten für das Land Niedersachsen.

Wörtlich hieß es in der ursprünglichen Anklage vom 12.04.2013:

"Mit der Anklage wird dem Angeschuldigten Groenewold vorgeworfen, im Rahmen des sog. 'Oktoberfestbesuchs' in München vom 26. bis 28.09.2008 für Christian Wulff und seine Familie Hotel- und Kinderbetreuungskosten in Höhe von insgesamt 510,-- € sowie die Kosten für ein gemeinsames Abendessen mit den Eheleuten Wulff für 209,40 €.....übernommen zu haben."

Die Diensthandlung Wulffs, die dieser, inspiriert durch diese bajuvedischen Wohltaten begangen haben soll, sei die Empfehlung für Groenewalds Filmprojekte gewesen. Ohne Diensthandlung nämlich wäre selbst der Vorwurf der Vorteilnahme nicht haltbar.

Ob allerdings Teilkosten von 719,40 Euro bei einem Besuch, der Kosten von mehreren tausend Euro verursacht, einen gutverdienenden Ministerpräsidenten, der in seiner Amtszeit selbst die Honorare der Unternehmensberatung von Roland Berger in einer Talkshow als "Wucher" bezeichnete, zur Gewährung von Sondervorteilen veranlasst, darf bezweifelt werden.

Eher geht es im Verfahren um die Gesichtswahrung der Staatsanwaltschaft, die dem öffentlichen Druck in der Hetzjagd auf Wulff nachgab, anstatt zuvor mit den Betroffenen, also Wulff, Geerkens und Groenewold gesprochen zu haben.

Der nun nicht mehr unwahrscheinliche Freispruch für Wulff könnte nicht nur für die Staatsanwaltschaft Hannover, sondern auch für Bild und Spiegel sowie alle, die Wulff der Korruption und Lüge bezichtigten, eine bittere Lektion bieten. Entsprechend klein werden die Meldungen ausfallen, wenn der Prozess, der angeblich bis 2014 dauert, beendet wird.