Spanien würdigt Ex-Kommunistenchef

Nach seinem Tod werden allseits Carrillos Verdienste im Übergang von der Diktatur zur Demokratie gewürdigt

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Schon am frühen Mittwoch wurde das Gewerkschaftshaus in Madrid geöffnet, um es vielen Menschen zu ermöglichen, Abschied vom ehemaligen Generalsekretär der Kommunistischen Partei Spaniens (PCE) zu nehmen. Der Andrang am Sitz der Arbeiterkommissionen (CCOO) war enorm, weil viele Persönlichkeiten aus Politik und Kultur sowie viele einfache Menschen Santiago Carrillo die letzte Ehre erweisen wollten, der sich beim letzten Putsch nicht wie viele andere Parlamentarier vor schießenden Paramilitärs hinter Parlamentsbänken verschanzte.

Im hohen Alter ist die graue Eminenz mit 97 Jahren am Dienstag in seiner einfachen Wohnung aus dem Mittagsschlaf nicht mehr aufgewacht. Trotz seiner Probleme mit der Gesundheit wurden viele von seinem Tod überrascht. Bis kurz vor seinem Tod war Carrillo aktiv und mischte sich in die politischen Debatten ein. Fast jedes Jahr veröffentlichte er ein Buch. 2012 erschien der Band "Gegen den Strom schwimmend". Damit ist sein Leben prägnant zusammengefasst. Das Buch kann nun umsonst heruntergeladen werden.

Aus allen politischen Lagern im Staat wird Carrillo, auch von klaren politischen Gegnern, für seine großen Verdienste geehrt. König Juan Carlos de Borbón hob seine "zentrale Rolle im Übergang" von der Diktatur zur Demokratie ab 1975 hervor. Nach 38 Jahren war Carrillo 1976 aus dem Exil nach Spanien zurückgekehrt war, wo er der republikanischen Exilregierung angehörte. Seit 1960 PCE-Chef, sicherte in der Linken ab, dass der von Franco 1975 als Nachfolger eingesetzte König Juan Carlos mit einer neuen Verfassung abgesichert wurde. Deshalb würdigt auch die rechte Volkspartei (PP) seine Verdienste. Sie wurde vom umstrittensten Spanier gegründet, Francos ehemaligen Informationsminister Manuel Fraga Iribarne, der im Januar verstarb. Mariano Rajoy, Fragas politischer Ziehsohn, hob als spanischer Ministerpräsident für die Partei den Beitrag Carrillos "zur verfassungsmäßigen Ordnung und dem neuen Rahmen des Zusammenlebens" hervor.

Die von der PCE geführte Vereinte Linke (IU) hat hervorgehoben, dass er sein "Leben für die Verteidigung des Kommunismus" eingesetzt habe. Der Stalin treu ergebene Carillo hatte 1936 und 1937 als Offizier und Polit-Kommissar des Zentralkomitees den Ausschuss zur Verteidigung Madrids gegen Francos-Putschtruppen geleitet, die schließlich mit Hilfe Nazi-Deutschlands den Bürgerkrieg 1939 gewannen. Der frühere IU-Chef Gaspar Llamazares sagte, nicht nur eine "große Persönlichkeit der Linken" gehe verloren, sondern auch eine "Stück unserer Geschichte" mit "ihren Idealen und Fehlern".

Zwar hatten sich Carrillo und die IU in den letzten Jahren wieder angenähert, doch abgebrochene Brücken konnten nicht erneut aufgebaut werden. Die Koalition sprach deshalb auch "politischen Differenzen" an. In der Linken war sein strikter Versöhnungskurs stets umstritten. Den hatte Carrillo angestimmt, nachdem er sich nach dem Einmarsch des Warschauer Pakts 1968 in die Tschechoslowakei von der UdSSR zu distanzieren begann. Statt für ein Einparteiensystem trat er in Spanien für einen "pluralistischen Wettbewerb" der Parteien ein. Doch nicht nur die Monarchie wurde über seinen Kurs abgesichert, sondern auch eine Amnestie für die zahllosen Verbrechen der Diktatur. Auch viele PCE-Mitglieder fielen ihr zum Opfer und liegen noch heute in Massengräbern. Die Widersprüche in Partei wuchsen, weshalb er 1982 zum Rücktritt vom Posten des Generalsekretärs gezwungen wurde. 1985 wurde er sogar aus der PCE ausgeschlossen.

Der IU, die ein Jahr später als Koalition unter Führung der PCE entstand, traute der Journalist nicht zu, eine "Neuorientierung" der Kommunisten "in Richtung Sozialisten und Sozialdemokraten" zu führen. Die lange von Streit zerrissene IU verschwand fast in der Bedeutungslosigkeit. Von einst 23 Sitzen blieben 2008 noch zwei übrig. Das lag vor allem daran, dass Llamazares sie auf einen Schmusekurs zu den regierenden Sozialisten (PSOE) geführt hatte. Seit sie unter Cayo Lara auf Abstand zu den Sozialdemokraten geht, erholt sie sich wieder.

Carillo reflektierte in seinen letzten Jahren immer kritischer die verfassungsmäßige Ordnung in Spanien. Er trat für einen "zweiten Übergang" ein, da die "Transición" im Ansatz stecken geblieben sei. Vor allem forderte er, die Dezentralisierung Spaniens voranzutreiben: "Katalonien, das Baskenland, Galicien und Gemeinschaften wie Andalusien sollten das Gewicht erhalten, das ihnen in der Vergangenheit im spanischen Staat negiert wurde", schrieb er. "Gewalt und Unterdrückung" gegen Unabhängigkeitsbestrebungen "haben das Problem der Einheit nicht gelöst sondern verstärkt".

Er setzt sich von der Rechten und vom König ab. Der Chef der Streitkräfte hat Katalanen und Basken gerade am Dienstag davor gewarnt, "Zwietracht" zu säen und "Hirngespinste" zu verfolgen. Immer stärker werden die Forderungen nach Unabhängigkeit, die längst von Mehrheiten getragen werden. Carillo hat stets daran erinnert, dass viele Rechte die Verfassung nun zum unveränderlichen Dogma stilisierten. Dabei hätten sie einst gegen sie gestimmt, weil sie im Autonomiemodell eine Gefahr für die Einheit Spaniens sahen. Stets haben sie die Re-Zentralisierung betrieben und die Übertragung von Kompetenzen verhindert, so dass Katalanen und Basken den Glauben in dieses Modell verloren haben.