Bischöfin Reloaded

Die Gläubigen haben der "Sünderin" Käßmann vergeben. Die "Ikone gefühlter Wahrhaftigkeit" predigt und missioniert wieder öffentlich

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Schnell sind all die Tränen getrocknet, die bei ihrem Rücktritt Ende Februar so zahlreich vergossen worden sind. Auch die Krokodilstränen. Wie wir seinerzeit schon vermuten hatten ( Über moralische Fallhöhen und Neugeburten), geriet die Karenzzeit, die sich die ehemalige EKD-Vorsitzende Margot Käßmann nach ihrer nächtlichen Trunkenheitsfahrt durch die niedersächsische Landeshauptstadt selbst verordnet hatte, relativ kurz.

Wer saß neben ihr?

Zwar hatte sie seit ihrem Rücktritt beharrlich geschwiegen, sie hatte alle Interviewanfragen strikt abgelehnt und war auch öffentlich nicht mehr aufgetreten. Stattdessen war in Boulevardmedien danach darüber spekuliert worden, wer wohl damals im nächtlichen Hannover ihr männlicher Begleiter im Dienst-Phaeton war, als sie kurz vor ihrer Haustür das Rot einer Ampel übersehen hatte und dabei dummerweise von der Polizei erwischt worden war.

Spekulationen brachten damals sogar Altbundeskanzler Gerhard Schröder ins Spiel. Was dieser allerdings umgehend dementierte und später auch per einstweiliger Verfügung eines Gerichts untersagt wurde ( Wer saß auf der Alkoholfahrt neben Bischöfin Käßmann?).

Dann hörte man noch, dass die "Neupastorin" wohl für einige Monate dem Land den Rücken kehren und in Atlanta an der dortigen Emory-Universität einige Lectures halten werde, einem Ort, an dem nicht nur ihr Vorbild, der Baptistenpastor Martin Luther King geboren und beerdigt ist, sondern auch der Dalai Lama offenbar einen Lehrauftrag wahrnimmt.

Schnee von gestern

Auf dem Ökumenischen Kirchentag in München Anfang des Monats schien all das vergessen und Schnee von gestern zu sein. Gut ein Vierteljahr nach ihrem "tiefen Fall in Gottes Hand", war sie der umjubelte Star auf den Besinnungstagen.

Mit Standing Ovations empfingen die etwa sechstausend Besucher die gefallene Bischöfin zu ihrer Lesung in den Messehallen, die sie nicht ganz zufällig der Schöpfungsgeschichte aus dem Buch Moses widmete, dem Kampf Noahs gegen die Sintflut und den neuen Bund, den Gott, nachdem sein Zorn über die undankbaren und überheblichen Menschen verraucht war, im Zeichen des Regenbogen mit ihm zu schließen bereit war.

Dieses Symbol des Bunten, Heterogenen und Vielfältigen, das dem Eindeutigen und Festgefahrenen entgegensteht, wird längst auch von postchristlichen Friedens- oder postmarxistischen Multitude-Aposteln gern als Zeichen der Hoffnung auf Befreiung und Erlösung von allem Möglichen benutzt oder missbraucht.

Noch wenige Stunden vor dem Eröffnungsgottesdienst hatte sie in einer Münchner Buchhandlung ihr schmales Buch "Das große Du" vorgestellt, das einen Luther Text und einem Kommentar von ihr dazu enthält. Andächtig, ergriffen und ehrfurchtsvoll hatten dort die Zuhörer der Ansprache der Pastorin gelauscht.

Und gar mancher hatte auch ein paar Tränen im Auge, als sie über das "Beten" philosophierte, es als eine "Lebenshaltung" pries, das von einer innigen Freundschaft mit Gott künde, als auch über das "Amen", das sich wohltuend vom "Basta" unterscheide, das keinerlei Zweifel neben sich dulde ( Lieber Amen als Basta sagen).

Politische Theologie

Hier wie Stunden später in der Messehalle machte sie erneut Front gegen den Afghanistan-Feldzug, gegen die Überhöhung des Militärischen gegenüber dem Zivilen. Gern "ließe sie sich lächerlich machen", wenn Kritiker sie dazu aufforderten, sie sollte sich doch mal mit Taliban- oder Al-Qaida-Kriegern in ein Zelt setzen und dort bei Kerzenlicht versuchen, gemeinsam mit ihnen zu beten ( Die Talibanflüsterin).

Kirche und Glauben habe sie immer politisch verstanden. Und ihr Amt immer auch als Verpflichtung gesehen, sich in die öffentlichen Belange einzumischen, dort, wo soziale Missstände offenkundig werden, Gerechtigkeit fehle und Menschen nicht als Menschen wahr- und angenommen werden. Nichts sei gut in Afghanistan, wiederholte sie unter lang anhaltendem Beifall der Menschen die Botschaft ihrer Neujahrspredigt. Auch nicht die "Verteilungsgerechtigkeit", die wir in der Welt derzeit haben, die der Vaterunser-Zeile "Unser täglich Brot gib uns heute" Hohn spreche.

Dass sie das auch weiterhin tun wolle, sich zu politischen Themen äußern werde, bewies sie tags drauf, als sie im Münchner Liebfrauendom, einer Hochburg der Katholiken, die Antibabypille als "Geschenk Gottes" pries und damit die Katholiken provozierte..

Gefühlte Wahrhaftigkeit

Vermutlich sind es aber gar nicht diese eher schlichten Botschaften, die sie vermitteln will oder glaubt, den Menschen vermitteln zu müssen, die sie bei denen, die sie bewundern und verehren, derzeit wieder so populär macht. Politische Lagerfeuer- und Kitschromantik macht sich in bestimmten Kreisen bekanntlich immer gut. Und mit gefühliger und gefühlter Authentizität – "Spiritualität" nennt man das beizeiten –, die sie verkörpert und persönlich ausschlachtet, liegt Frau Käßmann gewiss auch gut im Trend.

Da braucht es eigentlich auch gar so banaler "Küchenweisheiten", auf die Frau Käßmann glaubt unablässig und immer wieder hinweisen zu müssen, dass Menschen nicht ohne Fehl und Tadel sind, dass sie mithin "Mängelwesen" und daher auf Gott angewiesen sind, der sie vor neuen Sintfluten, persönlichen oder gemeinschaftlichen, bewahrt oder rettet.

Vermutlich könnte die "Lena Meyer-Landrut des ökumenischen Kirchentages" auch über das Kinderkriegen oder die Menopause, die Vorzüge von Frauen- gegenüber Männerfreundschaften oder gar über Carrie und Samanthas Sorgen und Nöte in "Sex and the City" referieren, die Menschen würden auch weiter wie gebannt an ihren Lippen hängen, ihre Worte euphorisch aufnehmen und sie als Ikone von Anstand und Moral hoch leben lassen.

Eine Frau wie Du und Ich

Was sie für bestimmte Menschen so beliebt macht, ist gerade diese Schlichtheit, Zerbrechlichkeit und Echtheit, die sie transportiert. Genau dies stilisiert sie ja zu einer Art Gegenentwurf zu Bischof Mixa, ihrem katholischen Pendant, der jede Kritik an seiner Person zunächst an sich hat abprallen lassen und erst nach massivem Druck der Öffentlichkeit zurückgetreten war.

In Frau Käßmann sehen die Menschen, die alle etwa um die fünfzig sind, weniger die Egomanin oder die Evangelikale, die missionieren will und mehr oder weniger gekonnt über Gott und die Welt zu parlieren weiß, als die Frau, die wie sie Krankheit und Scheidung hinter sich hat, von den Wirrnissen, Widrigkeiten, Brüchen und Abstürzen des Lebens stark gezeichnet ist und all das irgendwie auch er- und durchlebt hat, was sie er- und durchlebt haben.

Gefallener Engel

Darum landete sie noch Tage vor dem Kirchentag bei der Wahl der "Mutter der Nation", den das Meinungsforschungsinstitut Emnid im Auftrag der "Bild am Sonntag" anlässlich des Muttertages seit 2004 durchführt, trotz ihrer Verfehlung auf Platz acht der Rangliste, gleich hinter Angela Merkel, Nena und Iris Berben, aber noch vor Heidi Klum, Claudia Roth und Stephanie zu Guttenberg.

So nimmt es nicht wunder, dass die Süddeutsche Zeitung ihr am Ende des Kirchentages die ganze Seite Drei widmete und sie dort mit einem "sprichwörtlichen Phönix" verglich, der auf dem Kirchentag "rein, strahlend, triumphal aus der Asche herausgestiegen ist". Es scheint, als ob auch in ihrem Fall jener Spruch gilt, den man gelegentlich dann im Umlauf bringt, wenn Heroinen des Alltags sich des Sündenfalls schuldig gemacht haben oder die mediale Sintflut über sie gekommen ist: Göttinnen verehrt man, gefallene Göttinnen aber liebt man.