Spanien führt zweifelhafte Schuldenbremse ein

In der Verfassung wird aber lieber keine wirkliche Begrenzung verankert

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Anders als gerne derzeit euro-krise-spanien-fuehrt-schuldenbremse-ein/60095791.html: berichtet wird, verankert Spanien nicht nach deutschem Vorbild eine Schuldenbremse in der Verfassung. Das Abkommen, das zwischen den regierenden Sozialisten (PSOE) und der oppositionellen rechten Volkspartei (PP) am frühen Freitag verabschiedet wurde, sieht nur vor, in der Verfassung allgemein das Prinzip der Haushaltsstabilität zu verankern. Das konkrete Ziel über eine Defizitobergrenze von 0,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) soll nur in einem verfassungsausführenden Gesetz verankert werden.

Dass ist nur der erste Stolperstein, welche die Maßnahme spanisch erscheinen lässt, mit der Spanien der Forderung nachkommt, die Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy beim deutsch-französischen Gipfel kürzlich aufgestellt hatten. Soll in Deutschland die Bremse schnell greifen, muss sie in Spanien erst im Jahr 2020 eingehalten werden. Da nur in einem ausführenden Gesetz eine Festlegung vorgenommen wird, wird die Tür offen gehalten, diese Grenze einfach nach oben verschieben zu können.

Diese Flexibilität wird sogar im Verfassungstext verankert. Artikel 135, der um drei Absätze auf fünf erweitert wird, soll Ausnahmen vornehmen, in denen die Grenze überschritten werden darf. Aus Deutschland kopiert werden "Naturkatastrophen" und die "außergewöhnlichen Notsituationen", die "beträchtlich die Finanzsituation, die ökonomische oder soziale Nachhaltigkeit des Staates beschädigen". Doch sogar eine einfache "ökonomische Rezession", also wenn die Wirtschaft in zwei aufeinander folgenden Quartalen schrumpft, wird als Ausnahme benannt.

So fragt man sich, warum ein solches Brimborium gemacht wird. Schließlich hätte Spanien, das seit mehr als drei Jahren in einer tiefen Krise steckt, sogar mit dieser Schuldenbremse wohl ein Haushaltsdefizit produzieren können, das 2009 auf 11,1 Prozent anschwoll und das Land mit massiven Sparprogrammen 2010 auf 9,2 Prozent leicht gesenkt hat.

Zwar hat Finanzministerin Elena Salgado die Reform öffentlich auch am Freitag als "angemessenes Mittel" verteidigt, um "Vertrauen" zu schaffen, denn die Investoren müssten die genauen Verpflichtungen Spaniens kennen. Aus informierten Kreisen war aber zu hören, dass Salgado eine solche Verfassungsänderung intern kritisiert hat. Ohnehin hatte sie, als Merkel und Sarkozy die Forderung aufgestellt hatten, dafür plädiert, das Defizitziel nur ins Gesetz über die Haushaltsstabilität aufzunehmen. Sie hatte ohnehin Berlin dafür verantwortlich gemacht, dass es im Sommer turbulent um Spanien wurde.

Bei der Kompromisslösung zeigt sich deutlich die Handschrift von Schattenministerpräsident Alfredo Pérez Rubalcaba. Denn der Ex-Innenminister, der im November bei den vorgezogenen Neuwahlen für die PSOE antritt, weil sich Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero nicht mehr traut, wollte keinesfalls in der Verfassung eine Zahl verankern. Rubalcaba will Flexibilität bei der Ausgestaltung erhalten.

Dazu kam, dass der ehemalige Superminister versucht, seinen Verein vor den Wahlen zusammenzuhalten. Denn in PSOE brach ein Sturm im Wasserglas los, nachdem Zapatero im Parlament angekündigt hatte, dass er sich über eine Schuldenbremse mit Oppositionsführer Mariano Rajoy geeinigt habe. Einige PSOE-Parlamentarier kündigten offen an, gegen diese Reform zu stimmen. Der sozialistische Ex-Regierungschef Kataloniens äußerte sich wenig begeistert über die Maßnahme. "Wir hatten das weder im Programm noch in unseren Vorschlägen", sagte José Montilla. Dass Merkel und Sarkozy Spanien diese Maßnahme aufzwingen, meinte auch der Ex-Präsident des Europaparlaments, Josep Borrell, der von einem "rituellen Opfer" sprach. So wird mit dem schwammigen Vorgehen versucht, die Kritiker wieder einzufangen, die Rubalcaba auffordert, das Abkommen erst einmal zu lesen.

Die Kritik an der Reform ist stark. Die in Katalonien regierenden konservativen Nationalisten der CiU halten diese Verfassungsreform für "surreal". Wie die postkommunistische Vereinte Linke (IU) kritisiert die CiU die Eile, mit der ein Parlament, das kurz vor der Auflösung steht, noch eine solche Reform beschließen wolle. Plötzlich hat die IU mit der CiU einen Mitstreiter dafür gefunden, über das Vorhaben die Bevölkerung per Referendum über die Verfassungsänderung entscheiden zu lassen, wie es in Spanien normalerweise immer geschieht. Doch das wollen weder Rubalcaba noch Rajoy.

Die IU versucht derweil Druck zu machen und will demonstrativ gegen das Vorhaben vor das Verfassungsgericht ziehen. Die Linkspartei versucht auch mit Briefen, Kritiker in der PSOE davon zu überzeugen, für ein Referendum zu votieren. Dafür benötigen sie die Zustimmung von 10 Prozent der Abgeordneten im Parlament und Senatoren im Senat. Auch die baskischen Nationalisten sind nicht von einer Reform angetan, welche die Autonomie weiter beschränkt. Die Baskisch-Nationalistische Partei (PNV) versucht aber, anders als die CiU, die Chance zu nutzen, um die historische Forderung, das Selbstbestimmungsrecht der Basken, über diese Reform mit in die Verfassung aufnehmen zu lassen. Da dies auf den härtesten Widerstand der ultrakonservativen PP stößt, ist das ein aussichtsloses Unterfangen.

Dass die PP nicht wirklich ans Sparen denkt, auch wenn sie das der PSOE seit Jahren vorhält, zeigt sich, dass sie dieses schwammige Abkommen geschlossen hat. Da sie wohl die Wahlen im November gewinnen wird, hat sie sich in den nächsten vier Jahren völlig freie Hand gesichert. Vom Sparen war ohnehin bei der PP in den Regionen nichts zu spüren, in denen sie regiert. So gehört Madrid zu den Schuldenmeistern im Staat. Ob mit diesem Vorgehen wie erhofft die Finanzmärkte beruhigen werden können, darf bezweifelt werden.