Endstation für den nuklearen Alptraum: Sibirien

Der französische Atomkonzern Areva transportiert im Auftrag der EDF jährlich 108 Tonnen abgereichertes Uran nach Sewersk, wo es auf einem Parkplatz unter freiem Himmel lagert

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Lange Zeit spielte das Thema Atommülllagerung in Frankreich keine große Rolle in der öffentlichen Diskussion, was etwas erstaunlich ist, da die Stromversorgung im Nachbarland zu 80% über Atomkraftwerke geschieht. Nun legen zwei Journalisten, die für ihren Bericht nach eigenen Angaben acht Monate lang recherchiert haben, unangenehme Fakten vor, die vom Stromversorger EDF nur interpretatorisch bestritten werden können.

Eric Guéret und die Journalistin Laure Noualhat haben herausgefunden, dass jährlich 108 Tonnen "abgereichertes Uran" die französische Hafenstadt Le Havre verlassen, um per Schiff nach Sankt Petersburg transportiert zu werden, wo sie auf Züge verfrachtet nach Sibirien geschickt werden. Dort landen sie auf einem "Parkplatz unter freiem Himmel" in der für die Öffentlichkeit verschlossenen Stadt Sewersk (aka "Tomsk-7"), wo 13 Prozent der radioaktiven Abfall-Produkte aus der Produktion EDF-eigener Atomkraftwerke lagern ("matières radioactives" im Orginaltext; inwiefern diese Abfälle gefährlich sind, ist umstritten, siehe dazu die Diskussion im Forum). Seit Mitte der 1990er Jahre sei diese Art der Entsorgung Praxis, so der Bericht der Tageszeitung Libération. Der Auftraggeber für die Transporte sei die EDF, Ausführender der Nuklearkonzern Areva.

Was für Jean-Luis Borloo, dem französischen Minister für Umwelt, "kein Geheimnis" ist, wird seit dem gestern erschienenen Bericht zu einer "großen Aufregungswelle" mit internationaler Verbreitung, wie Co-Autorin Noualhat heute meldet. Die EDF, die lange Zeit nicht darüber berichten wollte, dementiert jetzt.

Allerdings nicht die Tatsache selbst, wonach Material aus französischen Atomkraftwerken nach Sibirien transportiert würde, sondern, dass es sich dabei um déchet nucléaire (zu deutsch: "Atommüll") handele. Wie eine Sprecherin heute gegenüber einer französischen Nachrichtenagentur erklärte, würden die "déchets radioactifs" aus ihren Anlagen in Frankreich bleiben, in "aller Sicherheit" - in der Wiederaufbereitungsanlage von La Hague. Nach Russland würde nur wiederaufbereitbares Uranium verbracht werden, um dort angereichert zu werden, so die EDF-Sprecherin.

Diese Darstellung ist für Noualhat Wortklauberei. Die EDF würde sich aus reiner Imagepflege sträuben, das Wort "déchet" zu verwenden - Le Monde bezeichnet heute Déchets als den "Alptraum der Kernenergie". Wäre es denn so, wie die EDF behauptet, dass das radioaktive Material "so wertvoll und so leicht zu recyclen" wäre, warum lagere das angeblich "mehrfach nützliche Material" dauerhaft und ungenutzt auf dem Parkplatz, so die Replik der Journalisten von Libération.

Laut Experten, zitiert wird der russische Greenpeace-Chef für den Bereich Energie, Waldimir Tschuprov, ist, was auf den Parkplatz lagert, eindeutig Atommüll. Das Material bezeichnete er als so wenig brauchbar wie eine zweimal ausgequetschte Orange: Die schon benutzten Brennstoffe sind seiner Auffassung nach "umweltschädlich und enthalten nur wenig Uran 235, das sehr mühsam aufzubereiten ist". Die Russen würden das auch nicht machen: "Für uns ist das endgültig Abfall." Andere russische Ökologen, die Libération zu Wort kommen lässt, sprechen davon, dass etwa 10 Prozent des Materials für eine Wiederverwertung brauchbar sei. Es blieben 90 Prozent, die man einfach dort lasse.

Die franzöische Staatssekretärin für Umwelt, Chantal Jouanno, hat sich mittlerweile dafür ausgesprochen, dass die EDF eine interne Untersuchung zu dieser Sache betreibe.

Ergänzung

Heute abend wird die TV-Dokumention der beiden Journalisten Eric Guéret und Laure Noualhat auf dem Fernsehsender ARTE gezeigt.